Lemwerder. "Donnerstagmorgen war ganz schön stressig", sagt Wiltrud Gleiche, während sie nach Oldenbrok fährt. Dank der Freisprechanlage ihres Mobiltelefons kann die Lemwerderanerin berichten, obwohl sie mit ihrer Schwester, Christel Heymann, auf dem Weg ins Hochwasserkatastrophengebiet in Rheinland-Pfalz ist. Am Mittwochabend hatte das Deutsche Rote Kreuz (DRK) auch in der Wesermarsch nach Freiwilligen gefragt, die beim Hochwasser-Einsatz in Koblenz helfen könnten.
Wiltrud Gleiche und Christel Heymann meldeten sich sofort. Stressig wurde es für die erfahrenen Einsatzkräfte nur, weil sich ihre Helme im Anhänger der Lemwerderaner DRK-Bereitschaft befanden. Mitnahme ist Pflicht. Der Schlüssel des Anhängers hängt jedoch am Schlüsselbund des Einsatzfahrzeugs, und das befindet sich in der Werkstatt. Nichtsdestotrotz schafften es die Schwestern, die seit 45 beziehungsweise 33 Jahren dem DRK angehören, ihre Sachen rechtzeitig zu packen und pünktlich um 11 Uhr am Treffpunkt zu sein. Mit einem Mitglied der Bereitschaft Oldenbrok geht es nach Koblenz.
Was sie dort erwartet? "Noch wissen wir nichts Genaues", sagt Christel Heymannn. Die Lemwerderanerin geht aber davon aus, dass die Schnelleinsatzgruppe in einer Turnhalle Essen ausgeben und Hygiene-Artikel verteilen wird. Auch wie lange ihr Einsatz dauern wird, wissen die Schwestern nicht. "Wir haben uns mal auf fünf Tage eingestellt und dementsprechend gepackt", sagt Wiltrud Gleiche.
Unbürokratische Arbeitgeber
Von ihren Arbeitgebern sind die beiden unbürokratisch freigestellt worden. Dabei weiß Wiltrud Gleiche, dass ihr kurzfristiger Ausfall für den Arbeitgeber nicht leicht ist. "Man verlässt den Arbeitsplatz spontan und hat keine Zeit etwas zu regeln." Andere müssten die Arbeit mitmachen. Lohn brauche der Arbeitgeber den Abwesenden in dieser Zeit aber nicht zu zahlen. Christel Heymann: "Der Lohn wird zu 100 Prozent ersetzt."
Während Wiltrud Gleiche und Christel Heymann noch auf dem Weg ins Hochwassergebiet sind, haben Kerstin Sieverding und Lars Prößler ihren Einsatz in der rund 50 Kilometer nordwestlich von Koblenz gelegenen Ortsgemeinde Rech bereits beendet. Sieverding und Prößler sind Mitglieder der Abteilung Rettungshunde/Ortungstechnik (RHOT) der Feuerwehr Lemwerder. "Rech hat die Flutwelle ganz übel erwischt", sagt Prößler nach seiner Rückkehr. Der Lemwerderaner Rettungshundeführer hat als Teammitglied der Hilfsorganisation @fire bereits in Beirut und Nepal nach Verschütteten gesucht.
In Rech im Landkreis Ahrweiler haben der 41-Jährige und die belgische Schäferhündin Apple allerdings nicht mehr ihre Erfahrung in die Waagschale werfen können. "Im Katastrophengebiet ist bei den jetzt noch Vermissten leider davon auszugehen, dass sie kilometerweit flussabwärts oder unter meterdickem Schlick gefunden werden", sagt Lars Prößler. Seine Hündin sei für eine Leichensuche nicht ausgebildet. Sie findet Überlebende in Trümmern.
So unterstützten Prößler und seine @fire-Kameraden die örtlichen Einsatzkräfte und Kommunen bei der Versorgung der Bevölkerung mit Hilfsgütern und Strom, bei der medizinischen Versorgung, der Evakuierung und dem Einsatz von Pumpen bei voll gelaufenen Gebäuden. "Wir haben mit kleinen geländegängigen Fahrzeugen neue Wege erkundet, um die Menschen in den abgeschnittenen Dörfern zu versorgen", berichtet Prößler. Mit Werkzeugen ebenso wie mit Lebensmitteln und medizinischer Ausrüstung. Drei große Quads hätten für die Aufgaben gute Dienste geleistet. Eines sei wie ein kleiner Krankenwagen aufgebaut gewesen, fasst der erfahrene Katastrophenhelfer die Zustände vor Ort zusammen.
Flut zerstört historische Brücke
Die Ortsgemeinde Rech liegt am Fuß des Steinerbergs, rund 50 Kilometer nordwestlich von Koblenz direkt an der Ahr. Traurige Berühmtheit hat der Ort im Nachgang der Starkregen- und Flutkatastrophe erlangt, weil die Sturzfluten dort die steinerne Nepomuk-Brücke zerstörten. Die 1723 erbaute, älteste noch bestehende Ahr-Brücke hatte als einzige die große Flut von 1910 überstanden.
Während Lars Prößler das unebene Gelände des Ahrtals erkundete, hat seine Feuerwehr-Kameradin Kerstin Sieverding im @fire-Einsatzlager im nordrhein-westfälischen Rösrath Material gepackt und die Hunde der Kollegen versorgt. Von der Schadenslage hat die 42-jährige Hundeführerin, die seit 2016 der Lemwerderaner Staffel angehört, nichts gesehen.
Für Prößler stellte der Einsatz in Rech eine Besonderheit dar. "In der Regel liegt zwischen Lemwerder und dem Einsatzort mindestens ein Flug von vier Stunden", stellt er fest. Mit dem Auto war Prößler bis dato noch nicht ins Einsatzgebiet gereist. Wiltrud Gleiche und Christel Heymann stellen sich derweil auf geschäftige Tage in Koblenz ein, zumal für das Katastrophengebiet für das kommende Wochenende erneut ergiebige Regenfälle vorausgesagt sind.