Manchmal führt der Zufall zu einer großartigen Entdeckung. So wie im Falle von Georg Faber. Rein zufällig habe er die Vegesack-Ausstellung im Overbeck-Museum besucht, erinnert sich der Archivar des Weser Yacht Clubs. Dort würden viele Schätze liegen. Er ahnte nicht, dass er an jenem Tag genau einen solchen finden würde.
Nun ist er wieder im Museum – diesmal um die Geschichte seiner unverhofften Begegnung zu erzählen. Vor ihm auf dem Tisch liegt ein Ölgemälde. Daneben sind Bücher und alte Fotos ausgebreitet. Fasziniert deutet Faber auf die mehrlagigen Farben, die erst im Licht richtig zutage treten. Sie entstammen den Pinseln von Walter Bertelsmann. Der Landschaftsmaler habe verstärkt Ausschnitte und maritime Motive gewählt, die man heute noch zuordnen könne: Der Himmel sei typisch und hell. In den weißen Segeln und roten Tupfern des Gemäldes erkennt der Archivar die Farben des Standers des Weser Yacht Clubs wieder – ein weißer Drudenstern auf rotem Grund. Rechts auf dem Bild sind Mole und Hafeneinfahrt erkennbar. Im Hintergrund lässt sich die Werft Abeking & Rasmussen ausmachen und die hohen Ufer Vegesacks. Daneben sind die Steganlage und das Clubhaus aus den 20er-Jahren abgebildet. „Auf den Bildern sind immer irgendwelche Anhaltspunkte – irgendetwas sieht man immer“, bekräftigt Faber.
Am Tag seines ersten Besuchs kam Faber mit Brigitte Müller ins Gespräch. Die Museumsmitarbeiterin hatte Aufsicht und forscht zum Hintergrund der Bilder von Bertelsmann. Zu dem Zeitpunkt waren einige Exemplare ausgestellt. Sie kamen schließlich auf den Weser Yacht Club zu sprechen – und konnten eine Verbindung zu einem Bertelsmann-Bild im Archiv herstellen, das genau diesen Verein in den 30er-Jahren zeigt. Faber zeigte sich begeistert angesichts dieses Fundes. Er war gerade dabei, Fotos und Dokumente aus derselben Zeit zu sichten. So gelang es ihm, viele Details auf dem Gemälde zuordnen und die Hintergründe zu erläutern.
Museumsleiterin Katja Pourshirazi konnte ihr Glück kaum fassen, als sie von der Geschichte erfuhr. Das Gemälde wäre im Depot beinahe in Vergessenheit geraten – und erhielt nun unverhofft Aufmerksamkeit. „Dass wir überhaupt Bilder von Bertelsmann im Museum haben, ist großer Zufall“, erklärt Pourshirazi. „Sonst wären wir gar nicht mit Herrn Faber ins Gespräch gekommen.“ In mehr als einem Jahrzehnt in ihrer Rolle als Museumsleiterin, wurde Bertelsmann nie ausgestellt. Der Ausstellungsfokus liegt sonst klar auf Overbeck-Werken. Nur durch das Vegesack-Thema der Ausstellung sei es überhaupt dazu gekommen. Aufgrund der Freundschaft des Malers mit Fritz Overbeck seien einige Vegesacker Motive entstanden.

Georg Faber und Musumsleiterin Katja Pourshirazi (re.) betrachten das Material aus dem Archiv des Weser Yacht Clubs.
Dem ersten Aufeinandertreffen des Archivars und der Museumsleiterin folgte ein intensiver Austausch. Im Archiv des Weser Yachtclubs stieß Faber auf alte Fotografien und Dokumente und konnte so einiges zum Hintergrund des Gemäldes beisteuern – für das Overbeck-Museum ein absoluter Glücksfall. „Das ist toll, wenn die Geschichten so zusammenkommen und sich gegenseitig befruchten“, freut sich Pourshirazi. Die Erzählungen und das zusammengetragene Wissen hauchten Bertelsmanns Bild neues Leben ein.
Vom elitären Zirkel zum Sportbootclub
Das Gemälde zeigt den Yacht Club im Jahre 1936. Der Verein siedelte sich gute zehn bis fünfzehn Jahre vorher in Lemwerder an. Im Schutz des Mündungsdamms der Ochtum entstand damals der erste Yachthafen. Der Club selbst existiert seit hundertdreißig Jahren. Ursprünglich ging er aus der „Abteilung Weser“ des kaiserlichen Yacht Clubs Kiel hervor, die in Woltmershausen ansässig war. Die Mehrheit kleinbürgerlicher Werftarbeiter schien jedoch nicht die richtige Klientel zu sein. Eine Mitgliedschaft war insbesondere für die vornehme Gesellschaft der Bremer Kaufleute und feudalen Elite attraktiv. Man beschloss, hinunter an die Weser zu ziehen. Die damalige Club-Landschaft setzte sich aus vielen kleinen Segelvereinen zusammen. Sie schlossen sich schließlich zum Weser Yachtclub zusammen mit Hauptsitz in Lemwerder.
Heute ist der Yachthafen verändert, wenn auch noch erkennbar. Zum Beispiel ist das alte Clubhaus dem Wandel der Zeit zum Opfer gefallen. „Der Verein hat einen Riesenschwenk gemacht, vom kaiserlichen Yachtclub zum modernen Sportbootclub“, erzählt Faber. Die etwa 350 Mitglieder seien heute andere. Früher war die Gegend ein attraktives Segelgebiet. Über die Zeit verlor sie sich allmählich als Standort, weil die Ostsee auf schnellerem Wege durch andere Transportmittel erreichbar wurde. Die großen Boote waren irgendwann nicht mehr da, auch wenn die meisten ihre Mitgliedschaft beibehielten.
Bild könnte wieder ausgestellt werden
Georg Faber ist seit seiner Kindheit Mitglied und hat dort segeln gelernt. Nach langer Zeit der Abwesenheit führte ihn ein weiterer glücklicher Zufall zurück nach Lemwerder: Er kaufte ein Boot. Und zwar nicht irgendeines, sondern ein Starboot. Der Weser Yacht Club war lange Zeit – und ist auch heute noch – sehr aktiv im Regattasport, als einer der Hauptstandorte für die anspruchsvolle Segelbootsklasse. Über Jahrzehnte war sie olympisch. Eines der alten Boote – die „Wannsee“, die ausgerechnet 1936 Gold gewann – existiert heute noch im Bremerhavener Schifffahrtsmuseums. Darüber hinaus sind aus der Zeit viele Dokumente erhalten, die Faber faszinierten. Er meldete sich als Archivar.
Eine ganze Reihe glücklicher Begebenheiten kommt damit allen Beteiligten und dem fast vergessenen Bertelsmann-Gemälde zugute. Das Bild soll nun gerahmt werden. Anschließend könnte es in die Reihe „Bild des Monats“ aufgenommen werden, die stets Wert auf die Präsentation der Hintergründe zu den Bildern legt. Bisher fanden dafür ausschließlich Overbeck-Bilder Verwendung. In jedem Fall sind sich alle einig, dass das Gemälde zu lange sein Dasein im Archiv gefristet hat und ausgestellt werden soll. Denn die Geschichte ist allemal erzählenswert.