Hannover. Es hatte schon etwas von einem Abschied. Sieben Mitarbeiter der geplatzten AfD-Fraktion posierten am Mittwoch vor den Säulen des Niedersächsischen Landtags für ein Erinnerungsfoto. Ihr Lächeln in der Mittagssonne wirkte gequält, sie erwartet in Kürze die Kündigung. Denn mit dem Aus der Fraktion fällt nach knapp drei Jahren plötzlich der Arbeitgeber weg. Die Abgeordnetentruppe, die im Oktober 2017 mit 6,2 Prozent in das Leinschloss gezogen war, verliert zudem die staatlichen Zuschüsse von rund 100 000 Euro monatlich. Sie könnte sich also die Gehälter für ihre insgesamt gut zwei Dutzend Beschäftigen im Landtag gar nicht mehr leisten.
Der am Vortag verkündete Austritt der bisherigen Vorsitzenden Dana Guth aus Herzberg (Kreis Göttingen) sowie ihrer beiden verbliebenen Getreuen Stefan Wirtz aus Braunschweig und Jens Ahrends aus dem Ammerland hat ein Erdbeben weit über die Landesgrenzen hinaus ausgelöst. Es war die parlamentarische Fortsetzung des erbitterten AfD-Machtkampfs zwischen dem als gemäßigt geltenden Guth-Lager und den Anhängern der völkisch-nationalen Linie um den neuen Landeschef, den Bundestagsabgeordneten Jens Kestner aus Northeim. Dieser hatte sich auf dem Parteitag in Braunschweig vor anderthalb Wochen knapp gegen die Immobilienkauffrau durchgesetzt. Jetzt gehe es ihm darum, auch die Landtagsfraktion auf Rechtsaußen zu trimmen, warnen seine parteiinternen Gegner.
Dass dem Paukenschlag vom Dienstag ein zweiter in Form einer Kehrtwende folgt und sich die Streithähne in der Fraktion wieder zusammenraufen, galt am Mittwoch als ausgeschlossen. „Dafür gibt es keine Anzeichen“, meinte ein Abgeordneter nüchtern. Zwar wiederholte Ex-Chefin Guth ihr Friedensangebot an vier vermeintlich gemäßigtere Kollegen zur Neubildung „einer bürgerlich-konservativen Fraktion“. Aber die so Angesprochenen gingen offenbar auf Tauchstation. „Es ist nicht so, dass da jemand mit einem Blumenstrauß vor der Tür steht.“
Im Gegenteil: AfD-Parlamentsgeschäftsführer Klaus Wichmann, der früher zu den Vertrauten der Vorsitzenden zählte und zwischenzeitlich selbst als Kompromisskandidat im Gespräch war, bestritt kurzerhand, dass das Guth-Trio überhaupt wirksam ausgetreten sei. Seine bisherige Chefin habe nämlich die drei entsprechenden Schreiben gar nicht mehr selbst annehmen können und dürfen, argumentierte der Rechtsanwalt mit Verweis auf Paragraf 14 der Fraktionssatzung. Wegen dieses Vetos wollte Landtagspräsidentin Gabriele Andretta (SPD) den Bruch der Fraktion denn auch zunächst noch nicht offiziell bestätigen. „Das müssen die erst einmal intern klären“, meinte ein Parlamentsjurist. Guth, Wirtz und Ahrends sollen dem Vernehmen nach am späten Nachmittag ihre Austrittgesuche formal korrekt nachgereicht haben.
100 000 Euro Zuschuss entfallen
Für das Hohe Haus ist es jedenfalls Neuland. Ein solch abruptes Ende einer Fraktion gab es in der Geschichte Niedersachsens noch nie. Die politischen, parlamentarischen, rechtlichen, finanziellen und logistischen Folgen sind beträchtlich. Für eine Fraktion braucht es laut Geschäftsordnung des Landtags fünf Prozent der 137 Abgeordneten, also mindestens sieben. Die AfD ist derzeit in sechs zu drei zersplittert, diese gelten damit allesamt nur noch als einfache Einzelabgeordnete. Damit verliert die Partei nicht nur die im Abgeordnetengesetz geregelten Fraktionskostenzuschüsse von monatlich 100 000 Euro, sie muss auch die daraus erworbenen Vermögensgegenstände von rund 60 000 Euro an das Land zurückführen. Außerdem stehen ihren Parlamentariern keine Besprechungsräume mehr zu.
Wichtiger noch: Parlamentarische Initiativen wie Anfragen an die Regierung oder das Einbringen von Gesetzentwürfen entfallen. Die Redezeiten schrumpfen erheblich. Ausschussmandate erhalten Einzelabgeordneten ebenfalls nicht; die AfD-Sitze dort werden an die anderen Fraktionen verteilt, davon dürfte vor allem die SPD profitieren. Die abgespeckten Parlamentsrechte der AfD werden später dann auch im Plenarsaal sichtbar. Dort sind die Fraktionen kuchenförmig im Halbrund um das Präsidium angeordnet. Als Fraktionschefin saß Guth bislang in der ersten Reihe. Einzelabgeordnete dagegen werden auf Stühle ganz hinten verbannt. Dies wiederum macht Umbauarbeiten erforderlich. Über die Einzelheiten berät der Ältestenrat in der nächsten Woche.
Das Beben von Hannover reicht bis Berlin. Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland forderte Guths Parteiausschluss. Mit ihrer „sinnlosen Sprengung der Fraktion“ nach ihrer Niederlage beim Landesvorsitz schade sie der gesamten Partei, giftete Gauland. Auch Bundeschef Tino Chrupalla drohte den aus seiner Sicht Abtrünnigen Konsequenzen an. Guth konterte, dass die Bundespartei selbst und andere AfD-Fraktionen auch nicht gerade Horte der Geschlossenheit seien. „Da reagiere ich erstmal gar nicht drauf.“ Mit ihr persönlich habe bislang niemand gesprochen. Das dürfte sich am nächsten Mittwoch ändern. Zu der dann von Chrupalla anberaumten Sitzung des Bundesvorstandes in Berlin sind alle neun AfD-Abgeordneten aus Niedersachsen geladen.