Hannover. Nach der Wende galt der Begriff in der westlichen Fachwelt eher als Schimpfwort: Diplom-Juristen – so hießen die Absolventen eines rechtswissenschaftlichen Studiums in der DDR. Zum Richter oder Rechtsanwalt im vereinten Deutschland reichte der Titel nicht. Das gilt auch für den heutigen Diplom-Juristen in der Bundesrepublik. Die Bezeichnung besagt, dass der Träger sein erstes Staatsexamen bestanden hat. Für die klassischen Juristen-Jobs in der Rechtspflege ist dagegen ein Referendariat mit zweiter Staatsprüfung zwingend erforderlich. Auch Wirtschaft und Verwaltung bestehen bei Einstellungen meist auf das zweite Examen.
Der Diplom-Jurist also ein Titel ohne großen Wert? Scheinbar nicht. Dessen bereits zum Jahresbeginn 2016 erfolgte und zunächst von niemandem bemerkte Abschaffung durch Niedersachsens Landesregierung hat jedenfalls bei den Studenten in den drei juristischen Fakultäten des Landes in Göttingen, Hannover und Osnabrück plötzlich großen Aufruhr ausgelöst. Das bedeute große Wettbewerbsnachteile, denn alle anderen Bundesländer verliehen den Titel schließlich weiter, so die Kritik der Fachschaften. Die schwarz-gelbe Opposition witterte ihre Chance und schloss sich dem Ruf nach Rettung des Diploms lautstark an. Jetzt macht Rot-Grün einen Rückzieher. Bis 2025 werde der Titel übergangsweise weiter verliehen, kündigte Wissenschaftsministerin Gabriele Heinen-Kljajic (Grüne) im Landtag an.
Von einem heimlichen Handstreich der Ministerin, von der Zerstörung beruflicher Karrieren hatten zuvor Union und FDP gesprochen. „Wer fünf Jahre erfolgreich Jura studiert und das erste Staatsexamen besteht, darf sich nach Ihrer Vorstellung dann als Abiturient bewerben“, giftete CDU-Wissenschaftsexperte Jörg Hillmer ungeachtet der Tatsachen, dass die Studenten trotzdem einen echten Abschluss in der Tasche haben und dass es vor 2002 in Niedersachsen nie einen Diplom-Juristen gegeben hatte.
Heinen-Kljajic, selbst eine promovierte Politologin, verteidigte ihre Novelle zum Hochschulgesetz, die mit Blick auf Bachelor und Master das Ende der klassischen Diplome eingeläutet hatte. Hierzu hätten aber Juristen nie richtig gehört; im Übrigen sei für diese ein Diplom keineswegs einstellungsrelevant. „Sie tun so, als wäre es der Welten Untergang, wenn man sein Studium ohne Titel abschließt.“ Mediziner oder Pharmazeuten würde man doch auch nicht mit einem Diplom versehen. Weil die Abschaffung aber offensichtlich von den Jura-Studenten in Niedersachsen als ungerecht empfunden werde, halte sie einen vorübergehenden Kompromiss für vertretbar. Man werde das Hochschulgesetz in dem Punkt noch einmal nachbessern.
Das Einlenken geschah offenbar auch auf sanften Druck des Koalitionspartners SPD, der sich unnötigen Ärger mit der Studentenschaft ersparen wollte. Ansonsten mochten zumindest die Volljuristen unter den Genossen die ganze Aufregung nicht so recht verstehen. „Wenn so etwas schon zum Problem gemacht wird, dann zeigt das doch nur, wie gut wir unterwegs sind“, meinte Ministerpräsident und Ex-Richter Stephan Weil.