Mit eher neugierigen Blicken empfangen die Unions-Abgeordneten am Dienstag ihre neue Kollegin aus Scheeßel, jene Frau, die am vergangenen Freitag die rot-grüne Koalition hatte platzen lassen und dadurch vorgezogene Neuwahlen am 15. Oktober ausgelöst hat. „Für eine Feierstunde ist das kein Anlass“, hat Parlamentspräsident Bernd Buse- mann vor der Sitzung als Parole ausgegeben und alle Seiten zur Mäßigung aufgerufen. „Wir müssen schnell wieder zu einer sachlichen Diskussion kommen.“
Twesten setzt sich – abgeschirmt von CDU-Generalsekretär Ulf Thiele – neben den Nienburger Abgeordneten Karsten Heineking auf einen der hinteren Plätze und ringt sich auf Nachfragen der Journalisten einige trotzige Sätze ab. „Ich habe die letzten Tage in entspannter Atmosphäre verbracht. Es war die richtige Entscheidung.“
Eine Entscheidung über Twestens Aufnahme in die Fraktion müssen deren Mitglieder nicht mehr treffen. Laut Satzung, erklärt Parlamentsgeschäftsführer Jens Nacke, gehört ein Abgeordneter mit CDU-Parteibuch automatisch der CDU-Fraktion an.
Am Abend vorher hatte der Kreisvorstand der Rotenburger CDU die ehemalige Grüne in die Reihen der Partei aufgenommen. Sie ist damt eines von mehr als 1850 Mitgliedern der CDU im Landkreis Rotenburg. Es sei ein ganz normaler, sachlich-nüchterner Vorgang gewesen, sagt Marco Mohrmann, der CDU-Kreisverbandsvorsitzende, über das bundesweite Politikum.
„Wir hatten acht Aufnahmeanträge. Twestens war nur ein weiterer davon.“ Der Kreisvorstand hat „einstimmig“ zugestimmt, wie es hieß. Dass es bei dem Votum auch drei Enthaltungen gegeben haben soll, fällt geflissentlich unter den Tisch. Ganz glücklich sind auch im hannoverschen Fraktionssaal nicht alle Anwesenden über die dramatischen Ereignisse und plötzlichen Veränderungen.
„Unsere Wähler schätzen es nicht gerade, wenn sich die CDU auf schmutzige Weise an die Macht putscht“, raunt ein Abgeordneter mit gesenkter Stimme. „Ich weiß nicht, ob wir uns damit wirklich einen Gefallen tun“, sagt ein anderer mit Blick auf das politische Asyl für Elke Twesten.
Insbesondere Parlamentarier, die nicht zur Wiederwahl antreten, verlieren durch die Selbstauflösung des Landtags drei Monate ihrer Lebensplanung einschließlich der lukrativen Diäten. Die Spekulationen, CDU-Fraktionschef Björn Thümler hätte mit der neuen schwarz-gelben Mehrheit eine hilflose rot-grüne Minderheiten-regierung von SPD-Ministerpräsident Stephan Weil am liebsten bis zum regulären Ende der Legislaturperiode im Januar 2018 vor sich hergetrieben, bleiben unwidersprochen.
Vom vorzeitigen Aus betroffen sind auch die vielen Fraktionsmitarbeiter, die in der Regel alle nur über befristete Beschäftigungsverträge bis zum Ende der Legislaturperiode verfügen. Mit der Konstituierung des neuen Landtages werden für sie die Karten neu gemischt. „Mit ist es ja egal, ich habe zu Hause genug zu tun“, sagt ein ausscheidender CDU-Parlamentarier mit eigenem Unternehmen. „Aber wegen unserer Mitarbeiter mache ich mir schon Sorgen.“
Derweil gehen die Scharmützel um die möglichen Motive für Twestens Übertritt munter weiter. SPD-Generalsekretär Detlef Tanke fordert die CDU auf, die genauen Umstände und Abläufe detailliert darzulegen. „Die Gerüchte über Lockangebote müssen lückenlos aufgeklärt werden.“ Nur so ließe sich weiterer Schaden von der Demokratie abwenden. „Darauf haben die Bürger ein Recht. Und dazu hat die CDU die Pflicht.“
Twesten, Thümler und CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann haben mögliche Deals und Zusagen stets bestritten. „Es hat überhaupt kein Angebot gegeben“, bekräftigt Thümler erneut. Die Grünen-Abgeordnete sei von sich aus auf die CDU zugegangen. Der Fraktionschef kündigt zudem an, mit der neuen Mehrheit die von der rot-grünen Regierung beschlossenen Hochwasserhilfe von 25 Millionen Euro um weitere acht bis 15 Millionen Euro aufzustocken.
Die SPD muss ihre ursprünglich für den 21. Oktober geplante Listenaufstellung für die Landtagswahl wegen der Neuwahlen um sieben Wochen vorziehen. „Das Treffen wird jetzt am 3. September in Hannover stattfinden“, kündigt SPD-Landesgeschäftsführer Georg Brockmeyer im Gespräch mit dem WESER-KURIER an. CDU, Linke und AfD haben ihre Kandidaten bereits gekürt. Am kommenden Wochenende legen die Grünen in Göttingen und die FDP in Laatzen die Reihenfolge ihrer Kandidatenlisten fest.