Tanken ist in Deutschland so teuer wie nie zuvor. Nach Diesel erreichen auch die Preise einiger Benzinsorten Rekordhöhen. Elektroautos könnten dadurch auf lange Sicht an Attraktivität gewinnen. Doch wie sieht es mit dem öffentlichen Verkehr aus? Kann er in Zukunft eine ernst zu nehmende Alternative sein? Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP steht, dass man die Länder und Kommunen „in die Lage versetzen“ wolle, die „Attraktivität und Kapazitäten“ des Nahverkehrs zu verbessern. Das Ziel soll sein, die Fahrgastzahlen deutlich zu steigern.
Das ist auch zwingend nötig, wie der „ÖV-Atlas Deutschland“ der Denkfabrik Agora-Verkehrswende zeigt. Viele Kommunen im Bremer Umland und in ganz Niedersachsen sind demnach nicht ausreichend an den Nahverkehr angebunden. Für die Untersuchung haben die Verkehrsexperten alle Fahrpläne aus dem vergangenen Jahr ausgewertet. Dabei wurde berechnet, wie häufig Busse oder Bahnen in einer Region abfahren – im Verhältnis zur Einwohnerzahl oder der bebauten Fläche.
Ein Blick auf die Karte zeigt, wo es noch erhebliches Verbesserungspotenzial gibt. Während der Nah- und Fernverkehr in den meisten Großstädten gut ausgebaut ist, gibt es besonders auf dem Land noch viele helle Flecken.
Auch im Bremer Umland ist das zu beobachten: In den Gemeinden Grasberg, Weyhe oder Ottersberg gibt es nur etwa 70 Abfahrten pro 1000 Einwohner und Tag. Ritterhude oder Osterholz-Scharmbeck liegen sogar noch deutlich darunter. „Bei uns ist noch Luft nach oben“, sagt Osterholz-Scharmbecks Bürgermeister Torsten Rohde. Das gelte vor allem für die entfernteren Ortsteile im Stadtgebiet. Nur die Buslinie 680, die im Stundentakt verkehrt, bilde eine Ausnahme. Lichtblick sei die komfortable Zugverbindung nach Bremen. Eine höhere Taktung der Personenzüge sei aufgrund der Gleisauslastung zurzeit wohl kaum möglich, sagt Rohde. Deutliche Verbesserungen könnte aus Osterholzer Sicht wohl nur der Bau eines dritten Gleises zwischen Bremen und Bremerhaven bringen.
Dagegen liegen in Lilienthal die täglichen Abfahrten bei 153, in Schwanewede bei 142 pro 1000 Einwohner. Bremen hat einen Wert von 236, wobei in Städten die Verkehrsdichte und damit auch das Angebot naturgemäß sehr viel größer ist als auf dem Land. Das bedeutet allerdings nicht automatisch, dass in Bremen der Bus- und Bahnverkehr besonders gut ausgebaut ist. Denn laut einer Auswertung des Mobility Institute sind Autofahrer in Bremen durchschnittlich mehr als doppelt so schnell am Ziel wie Menschen, die mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind.
Fahrgastzahlen brechen wegen Corona ein
„Nur wenn ein Angebot da ist, kann überhaupt Nachfrage entstehen“, sagt Carsten-Wilm Müller. Der 63-Jährige hat den Bürgerbus Syke mit ins Leben gerufen und sitzt auch selbst hinter dem Steuer. Als das ehrenamtliche Projekt 2008 gestartet wurde, war die Nachfrage noch verhalten – nach und nach nahmen aber immer mehr Menschen den Bürgerbus. „Wir hätten dann sogar einen zweiten Bus einsetzen können“, sagt Müller. Dann kam die Pandemie und die Fahrgastzahlen brachen um die Hälfte ein.
Ähnliches ist in ganz Niedersachsen zu beobachten, besonders das Angebot im ländlichen Raum ist betroffen. Im Vergleich zu 2019 gab es im vergangenen Jahr fast 44 Prozent weniger Fahrgäste, teilt ein Sprecher des Verkehrsverbunds Bremen/Niedersachsen (VBN) auf Anfrage mit. Die Gründe sind bekannt: Aus Angst, sich anzustecken, steigen viele nicht mehr ein und fahren mit dem Auto. Viele arbeiten zudem im Homeoffice, sodass sie nicht mehr auf Bus und Bahn angewiesen sind.
Die Fahrgastzahlen werden nach Einschätzung des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) frühestens im Jahr 2023 wieder das Niveau der Vor-Corona-Zeit erreichen. Ohne staatliche Rettungsschirme sei die Krise für die Unternehmen existenzbedrohend. Zugleich sei es allerdings auch wichtig, weiter zu investieren. Neue Strecken oder Fahrzeuge hätten jahrelange Vorlaufzeiten. Um Menschen für den ÖPNV zu gewinnen, die bisher mit dem Auto gefahren sind, sei ein gutes und flexibles Angebot auch auf dem Land wichtig – On-Demand-Angebote beispielsweise, die die Menschen an zentrale Haltestellen bringen.
„Wir müssen das Angebot hochfahren – aber intelligent“, sagt Müller, der im Hauptberuf Verkehrswesen und Stadtplanung an der Hochschule Bremen lehrt. Er ist überzeugt, dass sich der Ausbau des Nahverkehrs lohnt, die richtigen Konzepte vorausgesetzt. Neben On-Demand-Angeboten seien auch autonom fahrende Mini-Busse in Zukunft denkbar. „Wir sind an der Schwelle, dass sich wirklich etwas ändert.“ Für junge Generationen sei etwa ein eigenes Auto nicht mehr so wichtig. „Dort müssen wir jetzt Angebote schaffen, damit die jungen Menschen nicht wieder aufs Auto umschwenken.“
Laut Osterholz-Scharmbecks Bürgermeister Rohde geht es am Ende um die Frage, was zahlbar und damit auch machbar ist. Denn die Kosten des Ausbaus später einfach auf die Nutzer zu verteilen, sei kontraproduktiv und helfe in der Sache nichts. Auch der Zeitaufwand in Zusammenhang mit der Nutzung öffentlicher Verkehrsmitteln auf dem Land müsse beachtet werden. Viele zögen das Auto deshalb vor, weil eine Bus- oder Zugverbindung im direkten Vergleich zu langsam sei. „Es wird immer ein Mix bleiben“, ist der Verwaltungschef überzeugt. „Und es fehlen schlüssige Konzepte.“
Die sind aber dringend nötig, sofern Deutschland das selbst gesteckte Ziel schaffen will, bis 2045 klimaneutral zu werden. Besondere Bedeutung messen die Experten dabei dem Verkehrssektor zu, wo die Emissionen seit 1990 kaum gesunken sind. „Die Elektrifizierung des Autoverkehrs allein reicht nicht aus“, heißt es in der Analyse „Klimaneutrales Deutschland 2045“. Mindestens ein Drittel des heutigen Straßenverkehrs müsse auf energieeffizientere und klimaverträgliche Verkehrsmittel verlagert werden. Laut Agora Verkehrswende muss sich dafür die Nutzung des Nahverkehrs um 60 Prozent bis 2030 steigern – im Vergleich zu vor der Pandemie. Bis dahin scheint es aber noch ein weiter Weg zu sein.