Bremen, die Stadt der kurzen Wege? Geht es nach den Abgeordneten der Bürgerschaft, soll der Gang zur nächsten Haltestelle zukünftig höchstens zehn Minuten dauern. Ein Dringlichkeitsantrag der rot-grün-roten Fraktionskoalition wurde am Donnerstag in der Bürgerschaft diskutiert und ohne Gegenstimmen beschlossen. Haltestellen seien zum Beispiel im Viertel schnell erreichbar und mit eng getakteten Bus- oder Bahnverbindungen versorgt, sagte Anja Schiemann. In abgelegeneren Stadtteilen, so die verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, würden die Bewohner hingegen häufig längere Fußwege in Kauf nehmen müssen – und deshalb oft auf das Auto zurückgreifen. Über dieses Kernproblem herrscht fraktionsübergreifend Einigkeit. Insgesamt verlief die Debatte aber längst nicht so harmonisch, wie es das Abstimmungsergebnis vermuten lässt.
Umsetzbarkeit wird geprüft
Zum einen ist der Beschluss noch mit keinem Versprechen für die Bürger verbunden. Es geht zunächst einmal darum, die Umsetzbarkeit eines dichteren Haltestellennetzes prüfen zu lassen. Dabei sollen auch Finanzierungsfragen geklärt werden. Nicht nur die Frage nach dem Geld sorgte für Unstimmigkeiten, sondern auch der Antrag an sich. Ob es das Ziel sei, sich damit selbst zum Handeln aufzufordern, fragte Thore Schäck, bei der FDP-Fraktion für Verkehrsfragen zuständig. Der Seitenhieb in Richtung der grünen Verkehrssenatorin Maike Schaefer führte zu einem Geplänkel über die Rollenverteilung von Senat und Parlament, machte im weiteren Verlauf aber auch die inhaltlichen Streitpunkte deutlich. Präziser gesagt: Gestritten wurde darüber, ob der Antrag überhaupt neue Ideen für die Verkehrswende enthält.
Tatsächlich klingen viele Argumente bekannt: Bereits im Oktober vergangenen Jahres hatte die SPD ihr Konzept einer Zehn-Minuten-Stadt vorgestellt. Schon damals hieß es, der Senat solle prüfen, ob für alle Bürger in maximal 500 Metern Entfernung von ihrer Wohnung eine Zustiegsmöglichkeit für den ÖPNV besteht. Auch das im Antrag geäußerte Bestreben, den Zehn-Minuten-Takt ausweiten zu wollen, wurde bereits mehrfach diskutiert. In die Debatte am Donnerstag flossen allerdings auch neue Aspekte ein. Ralf Schumann von der Linksfraktion verwies auf Studien, denen zufolge vor allem die Reisezeit ausschlaggebend dafür sei, ob jemand den ÖPNV oder das Auto nutze – in Bremen, so Schumann, sei man mit dem Auto doppelt so schnell am Ziel. Ralph Saxe, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, machte auf die Corona-Folgen für den Nahverkehr aufmerksam. Eine schnelle Erholung der Fahrgastzahlen sei nicht zu erwarten. Trotzdem und gerade deshalb brauche es eine Stärkung des ÖPNV, sagte Saxe.
Die Opposition wiederum vermisst nach eigener Aussage konkrete Umsetzungen. "Immer neue Konzepte erhöhen nicht die Erreichbarkeit von ÖPNV-Angeboten", sagte Hartmut Bodeit, Mobilitätsbeauftragter der CDU-Fraktion. Wirklich helfen würde es, "wenn man beginnt, Maßnahmen umzusetzen". Bodeit kritisierte unter anderem, dass sich der Bericht zur Teilfortschreibung des Verkehrsentwicklungsplans verzögere. Verkehrssenatorin Maike Schaefer wies den Vorwurf zurück: "Es wird nicht nur geplant – wir sind mitten im Umbau." Sie verwies exemplarisch auf die Anbindung von Stuhr und Weyhe durch die Straßenbahnlinien 1 und 8 sowie die Querspange Ost, die aktuell gebaut wird. Der Antrag ist Schaefer zufolge auch deshalb neu, weil er Bremerhaven berücksichtige – bisher hätten sich alle Pläne vor allem auf die Stadt Bremen konzentriert.
Bleibt noch die Frage nach dem Geld, auf die es auch am Donnerstag keine Antwort gab. Die FDP sprach sich dafür aus, lieber keinen ticketlosen Nahverkehr zu schaffen und stattdessen die Infrastruktur auszubauen. Linke und Grüne brachten erneut höhere Gebühren für das Anwohnerparken oder Pendlerabgaben ins Spiel, mit denen der dichtere Nahverkehr bezahlt werden könnte. "Eine Lösung für die Finanzierung hat noch keiner", sagte Schaefer. Unstrittig sei nur, dass der Ausbau viel Geld kosten werde.