Verden/Hannover. Bankräuber versuchen sich immer häufiger am großen Coup, indem sie es so richtig krachen lassen. In Verden stehen ab heute zwei Männer vor Gericht, die im Juli 2010 in Lilienthal und in Bremen Geldautomaten gesprengt haben sollen.
Ob in Lilienthal, Ottersberg, Otterstedt oder in Achim – im Bereich der Polizeiinspektion Verden/Osterholz haben in der jüngeren Vergangenheit Explosionen von Geldautomaten zunehmend für Schlagzeilen gesorgt. Die zentrale Kriminalinspektion Lüneburg, die inzwischen die Ermittlungen auf diesem Feld führt, geht davon aus, dass in den meisten Fällen Banden am Werk sind.
"Sprengüberfälle sind die derzeit aggressivste Methode, Angriffe auf Geldausgabeautomaten auszuführen", schreibt Ewald Zenker auf seiner Internetseite. Dabei leiten die Bankräuber Gas oder ein Gasgemisch durch den Geldausgabeschlitz eines Bankautomaten und bringen ihn zur Explosion. Zenker hat sich mit seinem Münchener Unternehmen Zenewa auf sogenannte Bargeldsicherungssysteme spezialisiert. Während das Bundeskriminalamt von rund 100 Sprengungen in den Jahren 2007 bis 2011 ausgeht, kommt Zenker durch "eigene Presserecherche", also die Auswertung von Zeitungsberichten, auf 146 vollendete und 51 versuchte Taten im selben Zeitraum.
Genaue Zahlen gibt es nicht: "Das Sprengen von Geldautomaten ist zwar ein in ganz Deutschland zu beobachtendes Phänomen, aber kein eigener Straftatbestand in der polizeilichen Kriminalitätsstatistik", sagt Anke Smug, Sprecherin des Landeskriminalamtes (LKA) in Hannover. Sie geht von vier vollendeten und zwei versuchten Gasattacken auf niedersächsische Bankautomaten in diesem Jahr aus. Die Hälfte der Fälle hat sich seit September in Bremens Nachbarschaft ereignet. Anfang vorigen Monats versuchten Unbekannte, Geldautomaten von Banken in Ottersberg und Otterstedt zu sprengen.
Schon im September war in Oyten der Automat eines Geldinstituts gesprengt und dabei das Gebäude stark beschädigt worden. Die beiden Täter entkamen mit einem nicht bezifferten Bargeldbetrag. Diese Fälle waren jüngst Thema der halbjährlichen Arbeitstagung des LKA, an der auch Einbruchssachbearbeiter der zentralen Kriminalinspektion Lüneburg beteiligt waren. Sie ermitteln in "insgesamt rund 15 Fällen", die sich während der vergangenen drei Jahre fast ausschließlich in den Bereichen Oldenburg, Hannover und dem Großraum Bremen ereignet haben, sagt ihr Chef Volker Schäfer. Zur Aufklärungsquote möchte der Fachkommissariatsleiter Bandenkriminalität aus ermittlungstaktischen Gründen nichts sagen.
Ab heute verhandelt das Landgericht Verden gegen einen 31-jährigen Mann aus Bremen und seinen ein Jahr jüngeren mutmaßlichen Komplizen aus Essen – es ist bereits der zweite Anlauf. Prozessbeginn war bereits im November vergangenen Jahres, doch kurz vor dem Abschluss im August starb die Vorsitzende Richterin. Deshalb muss nun noch einmal von vorne begonnen werden. Es geht in dem Prozess um drei gesprengte Geldautomaten, einen in Lilienthal, einen in Schwachhausen und einen in Essen. Während es den Tätern in Bremen und Lilienthal im Juli 2010 nicht gelang, an das Bargeld zu gelangen, hatten sie laut Anklage im folgenden November mehr Erfolg. Sie erbeuteten 164 000 Euro. In Bremen und Essen, so die Staatsanwaltschaft, sei es reiner Zufall gewesen, dass niemand verletzt wurde. In den Etagen über den Bankfilialen hatten sich zum Zeitpunkt der Explosion Menschen aufgehalten.
Maskiert als Fußball-Fan
Bei der Tat in Bremen machten sich die Täter das Fußball-WM-Fieber zunutze. Maskiert mit Gummimaske, einem schwarz-rot-goldenen Zylinder sowie einer zum Umhang geknoteten Deutschland-Fahne betraten sie die Bank – just zu dem Zeitpunkt, als der Schiedsrichter zur Halbzeit des Spiels Spanien gegen Deutschland pfiff. Es kam zwar zu einer Explosion, an das Geld kamen die Täter jedoch nicht.
In Lilienthal hatte sich einer der Täter in der Nacht den Geldautomaten eines Supermarktes vornehmen wollen. Maskiert war er mit einer blonden Langhaarperücke. Die Überwachungskamera besprühte er mit schwarzer Farbe. Auch hier konnte er keine Beute machen, richtete aber einen Sachschaden von rund 10000 Euro an.
Um die "meist beträchtlichen Schäden, die Auswirkungen auf Angestellte, Kunden und die Schädigung des Bankenimage" müsse sich niemand länger Sorgen machen, heißt es bei Zenewa. Vorausgesetzt, es komme das leicht nachrüstbare, mittlerweile zertifizierte Gassprengschutzsystem GPU zum Einsatz, das gemeinsam mit einem Partnerunternehmen angeboten wird. Die komplizierte Funktionsweise des Systems beschreibt Zenker so, dass alles recht simpel erscheint: "Das GPU-System ist ein intelligentes Sicherungssystem, das eindringendes explosives Gas erkennt, neutralisiert und Explosionen verhindert. Ein zeitgleich abgesetzter Alarm ermöglicht das rasche Eingreifen von Polizei oder Sicherheitsdienst."
Wie weit das GPU oder ähnliche Systeme verbreitet sind, kann auch der Bundesverband deutscher Banken in Berlin nicht sagen. Julia Topar, Sprecherin des Verbandes, hält rund 100 Sprengungen innerhalb von fünf Jahren für "eine verschwindend geringe Zahl angesichts der 60315 Geldautomaten", die es Ende 2011 in Deutschland gab.
"Die Geräte werden kontinuierlich auf den neuesten technischen Stand gebracht, um den Kriminellen immer voraus zu sein", sagt Julia Topar und warnt: "Den Geldautomaten zu haben, bedeutet nicht, auch an das Geld ranzukommen. Man kann die Geräte schließlich nicht einfach aufschrauben. Und es ist kein Schild dran, ob eine Farbpatrone enthalten ist, die das Geld rot färbt und komplett unbrauchbar macht."