Mal waren es rund 50.000, mal mehr als 20.000 Euro. Trickbetrüger ziehen derzeit in den Landkreisen rund um Bremen flächendeckend und mit großer Dreistigkeit ihre kriminelle Masche ab. „Allein bei der Polizeiinspektion Verden/Osterholz werden derzeit täglich durchschnittlich 30 Taten angezeigt“, schätzt Polizeisprecher Helge Cassens. Die Täter riefen dazu ihre meist älteren Opfer zu Hause an und gäben sich als Polizisten aus, um an Ersparnisse und Bares zu kommen. Auch in Bremen lassen falsche Kommissare die Telefone klingen.
Die Anrufer versuchen zunächst, etwas über die finanziellen Verhältnisse ihrer arglosen Gesprächspartner zu erfahren und bringen sie mit Räuberpistolen dazu zu glauben, ihre Wertsachen seien zu Hause in Gefahr – ebenso wie auf der Bank, wo Beschäftigte es auf das Ersparte der Kunden abgesehen hätten. So sei vergangene Woche der Fall bei einem Mann aus Oyten gelaufen, der einem vermeintlichen Polizisten mehr als 20.000 Euro ausgehändigt habe. Gleiches widerfuhr einem Osterholz-Scharmbecker, der 90.000 Euro verlor. Dabei passten die Betroffenen nur recht vage ins Schema der Betrüger: Beide seien gerade mal Mitte sechzig, sagt Cassens, also mitnichten Greise.
Fiese technische Tricks
Die Täter, die sich als örtliche Polizisten oder Kripobeamte oder Mitarbeiter des Landeskriminalamtes ausgeben, schaffen es mit Hilfe eines technischen Tricks sogar oft zu bluffen, indem sie als Anrufernummer den Polizeinotruf 110 im Telefondisplay der Angerufenen erscheinen lassen, schildert Cassen die Vorgehensweise, die in den Landkreisen Verden und Osterholz die Runde macht, aber auch in Delmenhorst und den Kreisen Diepholz, Wesermarsch und Rotenburg in den vergangenen Monaten immer wieder aufgefallen ist.
Aktuell treiben falsche Polizisten unter dem Namen Bader auch in Bremen und unter Weber in Bremerhaven, dort flankiert von einem falschen Staatsanwalt namens Stahlberg, ihr Unwesen. In Bremen büßten Anfang der Woche zwei 86- und 71-jährige Frauen laut Polizei „einige Tausend Euro“ ein. Dort, ebenso wie in Bremerhaven, wo eine 75-Jährige betrogen wurde, arbeiteten die Täter mit einem technischen Trick, der falsche Anrufernummern in den Telefondisplays anzeigte, was die Opfer in trügerischer Sicherheit wiegte.
Die Methode des sogenannten Call-ID-Spoofing ist auch Marius Schmidt, Sprecher des Landeskriminalamtes (LKA) Niedersachsen, ein Begriff. Sogar die Nummer seiner Behörde ist schon von Telefonganoven missbraucht worden. Eine „phänomenbezogene Auswertung“ durch das LKA im Mai ergab: 2016 wurden etwa 50 „Tatvollendungen“ mit einem Schaden von rund 1,6 Millionen Euro festgestellt. Im vergangenen Jahr waren es etwa 110 vollendete Taten, mit einem Schaden von rund 2,5 Millionen Euro. Längst nicht alle Fälle werden bekannt. „Grob geschätzt kommen auf ein vollendetes Delikt 30 bis 60 Anrufe, bei denen eine Tatvollendung nicht eintritt“, sagt Schmidt. Zahlen aus dem laufenden Jahr liegen noch nicht vor.
Anders in Bremen: Mit dem Begriff „Falscher Polizeibeamter“ seien im Jahr 2018 bereits Strafanzeigen „im dreistelligen Bereich“ aufgenommen, sagt Nils Matthiesen. Im Jahr zuvor, so der Polizeisprecher, gab es 1488 sogenannte Straftaten zum Nachteil älterer Menschen (SÄM im Polizeijargon). „Sehr häufig“ sei hier auch die Masche des falschen Polizisten vorgekommen. In diesem Zusammenhang hat er aber auch eine gute Nachricht: „Bis auf eine Handvoll Fälle sind alle im Versuch gescheitert.“ Matthiesen führt das auch auf die immer wieder veröffentlichten vorbeugenden Hinweise der Polizei zurück. Dazu zählt unter anderem, am Telefon keine Auskunft über persönliche und finanzielle Verhältnisse zu geben. „Die Polizei wird Sie niemals um Geldbeträge bitten oder dazu auffordern, Geld oder Wertsachen herauszugeben. Die Polizei ruft Sie niemals unter der Polizeinotrufnummer 110 an.“
Nicht unter Druck setzen lassen
Das LKA rät dringend dazu, bei verdächtigen Vorfällen umgehend die Polizei zu rufen. „Lassen Sie sich nicht unter Druck setzen, auch nicht durch angeblich dringende Ermittlungen.“ Und: „Sie haben immer Zeit für eine Rücksprache mit Angehörigen und Vertrauenspersonen.“ Die vorgebliche Dienststelle kann Ganoven offenbar gar nicht groß und wichtig genug sein, um ihr Glück zum Schaden älterer Menschen zu versuchen. Im Fall einer 93-Jährigen in Twistringen gab sich ein Betrüger gar als Beamter des Bundeskriminalamtes aus. Er schaffte es kürzlich, die Frau davon zu überzeugen, Tausende Euro per Expressbrief zu verschicken – was die echte Polizei gerade noch verhindern konnte. In diesem Deliktfeld gibt es, wie Helge Cassens sagt, „nur geringe Aussicht auf Rückerlangung des Geldes“.
Was hohen Rang, aber falschen Namen hat, beeindruckte auch das Opfer in einem besonders spektakulären Fall, der sich im Mai in Hemmingen bei Hannover ereignet hat. Dort brachte ein „Kriminaloberkommissar“ einen 80-Jährigen dazu, erst 55.000 Euro an einen angeblichen Polizisten zu übergeben und am selben Tag fast 44.000 Euro auf ein Konto in der Türkei zu überweisen. Anders als versprochen, erhielt der Mann sein Geld nicht zurück und erstattete Anzeige.
Die Legenden der Betrüger sind oft fantasievoll ersonnene Räuberpistolen mit ausgefeilter Dramaturgie. „Unsere Gegner rüsten auf, die haben Callcenter, in denen sich ganze Theaterinszenierungen abspielen, um Senioren reinzulegen. Das hat schon enorme schauspielerische Qualitäten“, sagt Karsten Döhrmann von der pädagogischen Puppenbühne der Polizei in Delmenhorst. Die Puppenbühne hat das Thema, ebenso wie Aufklärung über den Enkeltrick, in den Spielplan eingebaut.
Zwei mutmaßliche falsche Polizisten wurden im April von der gemeinsamen Ermittlungsgruppe Bremen/Oldenburg geschnappt. Zwei von offenbar sehr vielen.