Allüberall im Land stellen Kinder am Abend vor dem Nikolaustag ihre Schuhe vor die Tür, damit der gütige Weißbärtige sie mit Süßigkeiten beschenke. Auf Borkum übernimmt der Klaasohm diese Rolle.
Sein Name setzt sich zusammen aus der niederländischen Bezeichnung für Nikolaus, Klaas, und Ohm, der ehrerbietig gemeinten Bezeichnung für Onkel. Klaasohm also ist auf der westlichsten und größten der ostfriesischen Inseln eine Respektsperson. Über die geheimnisumwitterten Rituale, die mit ihm verbunden sind, reden die Insulaner gar nicht gerne.
Hochgehalten wird der Brauch vom Junggesellenverein Borkumer Jungens von 1830. Am Abend des 5. Dezember verkleiden sich sechs junge Männer, je zwei große, mittlere und kleine Klaasohms mit Schaffellmasken, weißen Kitteln mit roten Streifen und zylindrischen Gebilden, die als Helm getragen werden. Der Kopfschutz wird Scherbelenskopp genannt und ist mit Schafspelz bezogen und mit Möwenflügeln geschmückt.
Diese „merkwürdige“ Erscheinung ähnele den Statuen der Osterinseln, meint Katrin Rodrian. Die Leiterin der Kulturagentur beim Verband Ostfriesische Landschaft in Aurich hilft bei der Einordnung: „Der heilige Nikolaus galt den Seeleuten als Schutzpatron, zu dessen Namenstag und Ehren auf Borkum Klaasohm stattfindet.“ Ähnlich, teils aber karnevalistischer angehaucht, werde der Nikolaus auch auf den niederländischen Nachbarinseln Texel, Vlieland, Terschelling, Ameland und Schiermonnikoog gefeiert – allesamt, wie Borkum, frühere Heimat von Walfängern.
Höhepunkt des Jahres
Die Borkumer Kulturwissenschaftlerin Andrea Akkermann hat Ende der 90er-Jahre an der Universität Mainz ihre Diplomarbeit über Traditionen und Brauchtum auf den Wattenmeerinseln geschrieben. Klaas-
ohm stellt demnach „auf Borkum noch immer den Höhepunkt des Jahres“ dar, „obwohl im übrigen Deutschland Weihnachten als das wichtigste Fest gilt“. Das Weihnachtsfest sei zwar zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch auf Borkum eingeführt worden, „es konnte jedoch nie den Platz der alten Inseltradition einnehmen“.
Der bedeutsamste Teil des Klaasohmrituals spielt sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit in der Betriebshalle der Borkumer Kleinbahn ab: Kostümiert und behelmt ziehen die Jungens dort in einen Ringkampf, Nach einer halben Stunde ist auf diese Weise geklärt, wer die Führungsrolle beim folgenden Umzug übernimmt. Dabei spielt als siebte Figur das Wiefke eine wichtige Rolle: „Das Wiefke (...) trägt ein rotes Kostüm mit einem Rock und einer weißen Schürze und eine Maske aus Seehundsfell. Diese Verkleidung soll eine Frau darstellen. Sowohl die Klaasohms als auch das Wiefke sind mit Kuhhörnern ausgerüstet“, schreibt Andrea Akkermann. Mit besagten Hörnern versetzen die Klaasohms Frauen, die sich nicht schnell genug in Sicherheit bringen, Schläge aufs Gesäß. Das Wiefke verteilt zur Entschädigung Moppe, ein spezielles Lebkuchengebäck, aus seinen Schürzentaschen. Schlusspunkt des Aufmarsches im Ortszentrum ist der Abgang der Ohms und des Wiefke: Einer nach dem anderen springen sie von der Litfaßsäule und lassen sich von der Menge auffangen.
Während Kostüme und Kämpfe noch als skurril durchgehen, ist der Teil mit den Prügeln schwer vermittelbar. Klaasohm sei ein Brauch, den keiner verstehen könne, der nicht von der Insel sei, erwidern Borkumer gewöhnlich auf Fragen zum Fest. Der aktuelle Oldermann, der gewählte Vorsitzende der Borkumer Jungens, Eike Müller, ist bei der Verwaltung der Inselgemeinde beschäftigt und unter anderem für die öffentliche Sicherheit auf Borkum zuständig. Hätte er nicht wegen der Klaasohmvorbereitungen Urlaub, hätte er vielleicht sogar etwas dazu gesagt.
Heidnischer Ursprung
Andrea Akkermann ist bei ihren Brauchtumsforschungen zu dem Ergebnis gekommen, dass der Ursprung Klaasohms und der Festrituale „höchstwahrscheinlich nie geklärt“ werden könne. Sie geht jedenfalls davon aus, dass der Brauch heidnischen Ursprungs sei – was nichts mit den Schlägen zu tun hat. „Es gibt bei dieser Tradition viele Anhaltspunkte, die auf den germanischen Totengott Wodan hinweisen. Dieser war nämlich bekannt als Anführer der wilden Jagd.“
Wilde Jagd. Christian Klamt, dem Tourismusdirektor der Insel, sagt das etwas. Auch wenn er keinen Kommentar zu Klaasohm abgeben möchte. Klamt ist erst seit Jahresbeginn auf der Insel. Zuvor, in Braunlage im Harz, hatte er es mit Hexenbräuchen zum 1. Mai zu tun – und damit, die Walpurgisnacht touristisch zu vermarkten. So etwas dürfte er sich mit Klaasohm nicht erlauben. „Das ist ein Fest für die Insulaner, eine heilige Kuh“, hatte einer von Klamts Amtsvorgängern klargestellt.
„Nicht nur die Herkunft, auch der Umgang mit dem Fest wird auf der Insel kontrovers diskutiert“, sagt Albertus Akkermann, „entfernter Cousin von Andrea“ und Wattführer auf Borkum. „Je weniger die darüber reden wollen, desto mehr Neugier produziert das.“ Ein anderer Aspekt, der ein Umdenken – zumindest bei den Borkumer Jungens – nahelegt, ist die Regel, dass ein Klaasohm auf der Insel geboren sein soll. Seit es dort keine Geburtsklinik mehr gibt und Borkumerinnen üblicherweise in Emden entbinden, sind die Jungens vom Nachwuchs abgeschnitten.