Wegen der Explosion der Ritterhuder Chemie-Firma Organo-Fluid gerät Niedersachsens Staatskanzlei-Chef Jörg Mielke (SPD) unter Druck. Die Opposition warf ihm die Verletzung seiner Amtspflichten als damaliger Landrat des Kreises Osterholz vor und fordert seinen Rauswurf. Mielke selbst wies alle Vorwürfe als unhaltbar zurück.
Die Tagesordnung der Landtagssitzung geriet am Mittwoch durcheinander. Am Morgen war ein Schreiben Mielkes vom 31. März 2005 an Anwohner des Recycling-Unternehmens in Ritterhude bekannt geworden Darin hatte der heutige Chef der Staatskanzlei unter anderem auf die nicht genehmigte Lagerung von Chemikalien auf dem Gelände Bezug genommen und das Bemühen um eine „Gesamtlösung“ in Aussicht gestellt. Mielke habe den illegalen Betrieb der Firma gebilligt, meldete der NDR. Die FDP-Fraktion beantragte sofortige Unterrichtung durch die Landesregierung. Bei der verheerenden Explosion am 9. September vorigen Jahres waren ein Mitarbeiter ums Leben gekommen, zahlreiche Menschen verletzt sowie 40 Häuser zerstört oder beschädigt worden.
Die NDR-Schlussfolgerung entbehre jeder Grundlage, erklärte die für die oberste Bauaufsicht des Landes zuständige Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD) im Parlament. Der Kreis habe die Firma ständig kontrolliert und festgestellte Verstöße immer verfolgt. „Der Landkreis war zuständig für die Einhaltung bauordnungsrechtlicher Vorgaben und ist dieser Aufgabe auch konsequent nachgegangen.“
Als „dünn“ und „dürftig“ bezeichnete die Opposition diese Unterrichtung. Keine der drängenden Fragen sei beantwortet worden, rügte FDP-Fraktionsvize Jörg Bode etwa mit Blick auf das Tanklager, in dem sich offenbar eine wesentlich größere Menge als genehmigt befunden habe. „Der Landkreis muss sich fragen lassen, warum er alle Einwände der Bürger und der Gemeinde Ritterhude ignoriert hat.“ Es habe unzählige Hinweise auf verbotenes Tun gegeben, aber die Firma habe Mielke „am Nasenring durch die Manege gezogen“, meinte Bode. Der Landkreis habe 2008 dann sogar noch eine weitere Vergrößerung des Betriebs möglich gemacht.
Noch heftiger attackierte CDU-Umweltexperte Martin Bäumer den damaligen Landrat. „Wenn es das von Ihnen angekündigte Gesamtkonzept gegeben hätte, hätte dieses abscheuliche Unglück vielleicht nicht stattgefunden“, sagte der Abgeordnete und löste wütende Proteste von SPD und Grünen aus. Bäumer legte nach und forderte von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) den Rauswurf seines Staatskanzleichefs: „Ziehen Sie dienstrechtliche Schritte, dieser Mann ist nicht mehr tragbar.“
Mielke selbst reagierte gelassen: „Ich nehme das zur Kenntnis; die Forderung beunruhigt mich nicht.“ Es gebe absolut keinen Grund für den Vorhalt, er habe illegale Dinge geduldet. In seiner Amtszeit im Kreis Osterholz habe es eine ganze Reihe von Beschwerden und Beanstandungen gegen die Firma gegeben; man habe stets konsequent reagiert. Sein Schreiben von 2005 sei die Antwort auf eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen eine Kreis-Mitarbeiterin gewesen, so Mielke. Das Wort „Gesamtkonzept“ habe sich auf den Bau einer Tiefgarage mit der dazugehörigen Zufahrt bezogen. Mielke verwahrte sich gegen den Eindruck, die Baumängel hätten unmittelbar die Explosion ausgelöst. Die Staatsanwaltschaft Verden brauche nach deren eigener Auskunft noch Monate für die Suche nach der Unglücksursache. CDU-Mann Bäumer scheine dagegen schon wissen zu wollen, woran es gelegen habe, wunderte sich der Volljurist. Trotz der Vielzahl von Verstößen habe der Kreis der Firma den Betrieb nicht verbieten können und dürfen. Der Begriff der „Unzuverlässigkeit“, mit dem etwa Gastwirten die Konzession entzogen werden könne, sei dem Baurecht fremd.