Der feierliche Akt muss natürlich im passenden Ambiente stattfinden. Äcker, Grünland und Gräben bilden die Umgebung des Milchhofs Widdel in Wunstorf-Mesmerode westlich von Hannover. Der bäuerliche Familienbetrieb erwartet an diesem Montag eine illustre Gästeschar aus rot-schwarzer Landesregierung sowie den Spitzen von Landvolk, Landwirtschaftskammer und den Naturschutzverbänden Nabu und BUND. Sogar Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) höchstpersönlich reist an, um den „Niedersächsischen Weg“ für mehr Natur-, Arten- und Gewässerschutz mit seiner Unterschrift zu besiegeln.
Dieses Abkommen soll nach monatelangen Verhandlungen die heftigen Konflikte zwischen Bauern und Naturschützern mittels Kompromissen und Finanzspritzen friedlich entschärfen. Und es soll das Ende April bei der Landeswahlleiterin eingereichte Volksbegehren „Artenschutz. Jetzt!“ überflüssig machen. Das hoffen zumindest Umweltminister Olaf Lies (SPD) und seine Agrar-Kollegin Barbara Otte-Kinast (CDU). Doch das zwölfseitige Vertragswerk plus zweiseitigem Finanzierungsplan, das dem WESER-KURIER vorliegt, fällt weit hinter die in einen Gesetzentwurf gegossenen Forderungen der 115 Bündnispartner der Artenschutz-Initiative – von Imkern über Grüne und Linke bis zu Bio-Bäckern – zurück.
Ausnahmen ausgeweitet
So strebt das Volksbegehren an den Ufern von Bächen, Kanälen und kleinen Flüssen beidseitig eine fünf Meter breite Schutzzone an, in der das Ausbringen von Dünger und Pflanzenschutzmitteln verboten ist. Die amtliche Rahmenvereinbarung sieht dagegen für diese Gewässer dritter Ordnung lediglich einen Randstreifen von drei Metern vor. Damit nicht genug. Wenn diese Schutzzonen „aus agrarstrukturellen Gründen unzumutbar wären, wird das Umweltministerium über eine Ausnahmeregelung den Randstreifen auf bis zu einen Meter reduzieren“, heißt es in dem unterschriftsreifen Vertrag. Dessen Macher haben dabei Regionen wie die Wesermarsch mit ihren engmaschigen Kanalsystemen zur Be- und Entwässerung im Blick, wo allzu breite Uferzonen eine landwirtschaftliche Nutzung unmöglich machen könnten. Zwar wollen auch die Artenschützer Ausnahmen zulassen, aber nur für künstliche Gewässer wie Kanäle und auch nur bis zu zwei Metern.
Aus Sicht des Volksbegehrens kommt der Grünlandschutz im „Niedersächsischen Weg“ ebenfalls viel zu kurz. Anders als etwa in Schleswig-Holstein oder Mecklenburg-Vorpommern ist hier kein generelles Verbot von Umwandlungen in Äcker vorgesehen. In Naturschutzgebieten soll zwar der Einsatz von Pestiziden untersagt werden; gleichzeitig sieht das Vertragswerk diverse Ausnahmen vor, etwa für „Ausbringungen, für die es keine zumutbare praxistaugliche Alternative gibt“.
Zum Insektenschutz will die SPD/CDU-Regierung zwar noch bis zum Ende des Jahres ein „Aktionsprogramm“ vorlegen, bleibt in dem Papier ansonsten aber vage. Während in Bayern, wo ein erfolgreiches Artenschutz- Volksbegehren die CSU-geführte Regierung zu vielen Zugeständnissen gezwungen hatte, etwa dass nächtliches Anstrahlen von Gebäuden konkret verboten ist, spricht der „Niedersächsische Weg“ lediglich von „Maßnahmen zur Reduzierung der Lichtintensität im besiedelten und unbesiedelten Bereich“. Anders als im Freistaat sollen niedersächsische Alleen, Hecken und Feldgehölze keine geschützten Landschaftsbestandteile werden. Straßenbaubehörden könnten sie also weiter leicht abholzen lassen.
Daher ist auch völlig offen, wie sich die beiden großen Naturschutzverbände nun verhalten werden. Zwar wollen der Nabu-Vorsitzende Holger Buschmann und sein BUND-Kollege Heiner Baumgarten in Mesmerode ihre Unterschriften zum Vertrag mit Land und Landwirtschaft leisten. Aber steigen sie damit auch zwangsläufig aus dem von ihnen bislang unterstützten Volksbegehren aus – zumal die ungeduldige Mitgliederbasis in beiden Vereinen ausgesprochen große Erwartungen hegt? „Für uns stimmt die Stoßrichtung“, lobt der Nabu-Chef den konstruktiven Austausch im „Niedersächsischen Weg“. Aber viele Punkte dort, wie der Schutz von Wiesenvögeln oder Insekten, seien noch „interpretationsfähig“. Buschmann fordert klare Regeln: „Solange die Landesregierung keine weitreichenden, neuen Verbindlichkeiten im Naturschutz schafft, solange bleibt ein Volksbegehren unerlässlich.“
Immerhin verpflichtet sich die Landesregierung in dem Vertrag zu diversen Novellen etwa des Niedersächsischen Naturschutz- oder des Wassergesetzes. Und sie nennt dazu sogar Zeitfenster. Andererseits bietet selbst der Finanzierungsplan Kritikern schon Anlass zu Nachfragen. 120 Millionen Euro aus dem Jahresüberschuss 2019 sollen in den Artenschutz fließen, hatte Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU) vor einigen Wochen versprochen. Laut Anlage zum Vertrag sind es nun aber nur noch 82,5 Millionen Euro – verteilt auf die Jahre 2021 bis 2023. Bei etlichen anderen Posten handelt es sich um Mittel des Bundes und der EU sowie um längst beschlossene Gelder, die also auch ohne Vertrag fließen müssten.