Ein herkömmliches Stadtzentrum sucht man in Papenburg vergebens. Die kurze Bahnhofsstraße mündet nach wenigen Metern. Dann bleibt eigentlich nur die Auswahl, ob man der Straße Hauptkanal Rechts oder Hauptkanal Links in einer weitgeschwungenen Rechtskurve nach Süden folgen möchte. Erst nach mehreren Kilometern vereinigen sich beide Straßen wieder zum Gasthauskanal und enden schließlich im Geraden Weg. Dann ist man durch Papenburg auch schon durch. Eine Stadt als Doppelstrich sozusagen.
Diese Gradlinigkeit brachte der Kommune mit 35.000 Einwohnern nicht nur den Rekord-Titel der längsten Fehn-Siedlung Deutschlands ein. „Sie ist als älteste im Land auch historisch gewachsen“, erklärt Winfried Nehe. Der Pensionär hat vier Jahrzehnte lang die Wirtschaftsförderung der Stadt geleitet und Papenburg dabei erst auf die Landkarte vieler Unternehmen gesetzt. „Dabei ist bei uns alles in vier Jahrhunderten organisch entstanden“, berichtet er. Interessierte Besucher führt Nehe zum besseren Verständnis ein Stück weiter ans Ende des Geraden Weges, wo die ganze Geschichte 1631 ihren Anfang nahm. Schon 400 Jahre früher hatte der Bischof von Münster die Papenborch als halbwegs bequemes Reisequartier auf dem Weg nach Ostfriesland ans Ufer der Ems setzen lassen. Aber die Gegend war ein einziger Morast voller Mücken und Sumpffieber, und die Besitzer der Immobilie waren damit so unzufrieden, dass sie ständig wechselten. Der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges machte das Gebäude dann endgültig zum Sanierungsfall in Randlage.
Hauptkanal zur Entwässerung
Der letzte unglückliche Besitzer hieß Friedrich Freiherr von Schwarzenberg. Er wollte die Burg und das ganze Land nur noch loswerden. Der Emsländer Landdrost Dietrich von Velen schlug zu. Aus den Niederlanden kommend, wusste er, wie man das Moor entwässert, Grundstücke vermisst und Siedler rekrutiert. In der von-Velen-Anlage, einem Freilichtmuseum am Stadtrand des heutigen Papenburg, lässt sich die weitere Entwicklung leicht nachvollziehen. Dort hat ein Heimatverein verschiedene Haustypen von der Schafskate bis zum alten Kapitänshaus versammelt, in dem heute frische Buchweizenpfannkuchen mit Ostfriesen-Tee serviert werden. „Von Velen ließ als erster in Deutschland einen Hauptkanal zur Ems hin als Entwässerung und Transportroute ausheben und verteilte Grundstücke an beiden Seiten“, erklärt Wilfried Nehe. Der holländische Ursprung der Moorentwässerung ist noch heute im Wort Fehn-Siedlung enthalten, das sich aus dem niederländischen Wort Venn für Moor ableitet. Die neuen Besitzer erhielten immer eine Plaatze von 83,16 Meter Breite am Kanalufer und einer Länge von 462 Metern im Hinterland. Als Gegenleistung mussten sie Seitenkanäle ausheben, die sogenannten Wieken. Das Grundmuster wurde später auch an anderen Stellen kopiert. Mit einem Kanalnetz von noch heute 44 Kilometern Länge hat sich Papenburg später oft als Venedig des Emslandes vermarktet. „Brücken haben wir schließlich auch genug“, sagt Nehe.
Viele Siedler bauten kleine Werften an den Kanälen
Mit dem Torfstechen auf dem eigenen Grund und Boden war es allerdings nicht getan. Viele Siedler bauten kleine Werften an den Kanälen. 24 waren es in der Blütezeit, die Treidelkähne für die Kanäle und größere Spitzmutten für Fahrten auf der Ems fertigten. Dorthin brachten die Moorbewohner ihren Torf und kehrten mit Lehm für die Häuser zurück. Eines dieser Unternehmen, die später auch seegängige Schiffe vom Stapel ließen, war die 1795 gegründete Meyer-Werft. Als einzige überlebte sie den Beginn des Stahlschiffbaus und ist heute mit rund 3300 Beschäftigten nicht nur der größte Arbeitgeber, sondern auch der größte Touristen-Magnet in der Stadt. Bis zu zehn Shuttlebusse täglich waren im verregneten Juni nötig, um Gäste auf das Werksgelände zu bringen.
Für die Innenstadt wurden ihre Pötte und die für den Bau nötigen Anlagen irgendwann zu groß. Nachdem die Werft an den Stadtrand gezogen war, entstand auf ihrem alten Areal am Nordende des Hauptkanals das Forum Alte Werft. Ein Hotel und Veranstaltungsflächen kamen hinzu und 2014 die finanziell allerdings nicht erfolgreiche Landesgartenschau. In der ehemaligen Ölmühle erinnert der Zeitspeicher als Ausstellung im Obergeschoss der Tourist-Info an den Beginn der Kolonisation. Natürlich begrüßt Moor-Visionär Dietrich von Velen die Gäste.
Moorgebiet ist Refugium für bedrohte Arten
Und das Moor – das gibt es rund um die alte Fehn-Siedlung auch noch, dem Zufall sei Dank. Als der Automobilkonzern Mercedes-Benz 1991 ein riesiges Testareal mit einem Radius von zwölf Kilometern ins Moor südlich der Stadt pflanzen wollte, hatten sich Umweltschützer zunächst zu heftigem Protest in einem provisorischen Hüttendorf versammelt. Später einigte man sich auf einen Kompromiss: Die Innenflächen des über 700 Hektar großen Areals blieben unberührt und 1000 Hektar Ausgleichsflächen wurden renaturiert. 20 Jahre nach der Eröffnung ist das abgeschottete Moorgebiet innerhalb des Rings ein wichtiges Refugium für bedrohte Arten. Das sei auch gut so, sagt Winfried Nehe. „Ohne das Moor gäbe es Papenburg schließlich gar nicht.“