Der niedersächsische Modellversuch mit vorsichtigen Lockerungen der Corona-Maßnahmen hat noch gar nicht richtig begonnen, da sorgt er bereits für Ärger, Probleme und offene Fragen. Auf Kritik stoßen insbesondere die Ansteckungszahlen als Kriterium für den Zuschlag durch die SPD/CDU-Landesregierung. So darf Hann. Münden im Süden des Landes trotz einer lokalen Sieben-Tage-Inzidenz von weit über 150 mitmachen. Dies hatte in der Region sowie bei der unterlegenen Konkurrenz große Verwunderung ausgelöst.
Maßgeblich sei aber der Wert des gesamten Landkreises Göttingen, rechtfertigte das Sozialministerium am Dienstag seine Entscheidung vom Sonnabend. Dieser habe deutlich unter 100 gelegen. Außerdem habe die Kreisverwaltung ausdrücklich ihr Einvernehmen für die Bewerbung von Hann. Münden erteilt. Die Stadt Göttingen selbst mit einer aktuellen Inzidenz von 58 ging dagegen wegen offener Fragen zum Sicherheitskonzept leer aus, sie setzt nun auf die vom Land angekündigte zweite Auswahlrunde.
Wann es losgehen soll, ist noch völlig unklar
Völlig unklar war am Dienstag, wann es überhaupt mit dem Besuch von Läden, Außengastronomie, Kinos oder Museen nach Vorlage eines negativen Corona-Testergebnisses losgehen soll. Die ersten der 14 ausgesuchten Modellkommunen wollen laut Ministerin Daniela Behrens (SPD) noch in dieser Woche an den Start gehen. Die meisten anderen wie Cuxhaven und Oldenburg wollen frühestens ab nächsten Montag ihre dreiwöchige Testphase beginnen.
Achim dagegen halte am bereits angekündigten Termin zum 16. April fest, bekräftigte Bürgermeister Rainer Ditzfeld (parteilos). Vorher schaffe man nicht den Aufbau der notwendigen Infrastruktur mit einem zweiten Testzentrum. In Hann. Münden muss Bürgermeister Harald Wegener (parteilos) vor den Öffnungen noch seine Ratsfraktionen beruhigen. Diese werfen dem Stadtoberhaupt vor, die Bewerbung ohne Absprache mit ihnen im Alleingang durchgezogen zu haben. Wegener rechtfertigte sich mit der in der Karwoche gebotenen Eile des Verfahrens.
Erste Kommune beim Schummeln erwischt
Und mit der Samtgemeinde Elbtalaue ist der erste der erfolgreichen Kandidaten schon vor dem Start wieder draußen. Die Kommune im Landkreis Lüchow-Dannenberg hatte offenbar beim vorgelegten Sicherheitskonzept geschummelt und das noch gar nicht aufgebaute System zur digitalen Kontaktnachverfolgung als existent angekreuzt. Außerdem fehlte das Einvernehmen des zuständigen Gesundheitsamts. Man müsse noch an die Luca-App angeschlossen werden, gab Bürgermeister Jürgen Meyer (parteilos) zu. Er rechne dennoch damit, Ende der nächsten Woche mit dem Modellversuch beginnen zu können. „Elbtalaue müssen wir jetzt noch mal auf die lange Bank schieben“, meinte dagegen Ministerin Behrens.
Andere Städte wie Celle oder Osnabrück hatten zwar überzeugende Konzepte mit Tests, Lenkung der Besucherströme, Kontaktnachverfolgung und Einbindung der lokalen Geschäftsleute vorgelegt. Sie scheiterten allerdings an ihren hohen Ansteckungszahlen jenseits der 100er-Grenze. Insgesamt 65 Kommunen waren ins Rennen gegangen. Die aussortierten Städte dürfen jedoch auf eine zweite Auswahlrunde hoffen. „Alle Bewerber bleiben im Topf und können nacharbeiten“, betonte Behrens.
Niedersachsen will Zahl der Modellkommunen voll ausschöpfen
Laut Ressortchefin will Niedersachsen die angekündigte Zahl von 25 Modellkommunen voll ausschöpfen und damit eine gleichmäßige Verteilung über das gesamte Land erreichen. Dabei wolle man auch bewusst Städte mit hohen Inzidenzwerten zum Zuge kommen lassen, um dort Erfahrungen mit entsprechenden Sicherheitskonzepten sammeln zu können, sagte Behrens. Man rede die Pandemie nicht klein, aber fahre auch keinen Panik-Kurs. „Wir Niedersachsen haben einen sehr differenzierten Blick.“ Gleichwohl werde man die Ergebnisse der nächsten Bund-Länder-Konferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der nächsten Woche abwarten. Sollte dort ein harter Lockdown beschlossen werden, werde man natürlich nicht mit weiteren Modellkommunen an den Start gehen.
Der Modellversuch nach Tübinger Vorbild ist in der aktuellen Corona-Verordnung der rot-schwarzen Landesregierung verankert. Kommunen aus Landkreisen, die die Sieben-Tage-Inzidenz von 200 überschreiten, sind danach von einer Teilnahme ausgeschlossen. Überschreitet der Wert in einer Modellkommune während der dreiwöchigen Phase an drei aufeinander folgenden Tagen diese Grenze, muss der Versuch abgebrochen werden – „es sei denn, dass diese Überschreitung ausschließlich auf die im Rahmen des Modellprojekts zusätzlichen Testungen zurückzuführen ist oder einer bestimmten Infektionsquelle zugeordnet werden kann“.
Freiheiten für Geimpfte sind nicht Bestandteil des Modellprojekts
Für den Zutritt in die örtlichen Lockerungsbereiche müssen die Besucher laut Verordnung ein negatives Ergebnis eines zugelassenen Schnelltests oder eines PCR-Tests vorlegen. Ob diese Pflicht demnächst für Personen, die bereits zweimal gegen das Virus geimpft worden sind, entfallen kann oder soll, ließ die Sozialministerin offen. Die niedersächsischen Modellprojekte hätten mit der Frage nach Freiheiten für vollständig Geimpfte zunächst nichts zu tun. Man diskutiere zwar im Kreis von Bund und Ländern, dass man sich diesem ethisch brisanten Thema nähern wolle. „Aber damit ist noch keine Aussage verbunden, dass wir das auch so machen wollen.“ Einen Alleingang Niedersachsens schloss Behrens allerdings aus: „Das versteht ja kein Mensch.“