Der Verdacht eines SPD-Oberbürgermeisters, SPD-Ministerpräsident Stephan Weil kneife vor der Kritik des Niedersächsischen Städtetages (NST) wegen fehlender Finanzmittel, entpuppte sich als unbegründet. Im Gegenteil: Der Regierungschef, der ursprünglich als Hauptredner eingeplant war, verhandelte am Mittwoch in Berlin als oberster Ländervertreter mit dem Bund über eine gerechtere Verteilung der Flüchtlingskosten. Und er konnte zumindest einen ersten Erfolg nach Hannover vermelden. "Es gab Einvernehmen über den Einstieg in ein atmendes System für alle Geflüchteten", erklärte Weil. Künftig werde es wieder eine Kopfpauschale für jeden aufgenommenen Migranten geben; der Bund werde seine Überweisungen also wieder stärker am tatsächlichen Aufwand für Unterkunft und Verpflegung orientieren.
Bei der Jahresversammlung des NST in der Niedersachsenhalle der Landeshauptstadt löste die Nachricht aus Berlin allerdings keinen Jubel aus. Erstens nannte der Ministerpräsident keine konkreten Zahlen. Zweitens bezweifelten viele der dort versammelten rund 80 Stadtoberhäupter, dass das Land die Bundesmittel auch eins zu eins an die Kommunen weiterreicht. Und drittens macht der finanzielle Aufwand für Migranten nur einen Teil der Probleme für die Kommunen aus. "Unsere Sorgen gehen weit über die Flüchtlingskosten hinaus", beklagte NST-Präsident Frank Klingebiel (CDU), der Oberbürgermeister von Salzgitter. Bund und Land drückten den Kommunen immer mehr Aufgaben auf, ohne sich um deren Finanzierung zu kümmern. Dazu komme der Fachkräftemangel.
"Alle städtischen Haushalte laufen ins Defizit, auch die von Städten, die bisher gut dastanden", pflichtete NST-Vizepräsident Jürgen Krogmann (SPD), Oberbürgermeister in Oldenburg, bei. Sein Grünen-Kollege Belit Onay aus Hannover wählte einen Sportvergleich. "Wir Kommunen geben nicht auf. Aber wir sind allein auf dem Platz. Bund und Länder stehen abgekühlt an der Seitenlinie." Neue Aufgaben wie die vom Land gesetzlich eingeführte dritte Kraft in Kindergärten seien nicht zu leisten, kündigte Klingebiel an. "Das können wir nicht erfüllen, weil wir schon nicht genügend zweite Kräfte haben." Krogmann warnte vor ausufernden Kosten für den Öffentlichen Nahverkehr. "Wenn man schon ein Deutschland-Ticket einführt, muss man auch sehen, dass dies dauerhaft durchfinanziert ist."
Aufkeimende Neiddebatten
Onay forderte eine Vereinfachung des Ausländerrechts, um der immer weiter anwachsenden Bearbeitungsdauer in den Behörden zu begegnen. Wenn die Menschen oft Monate auf ihre Aufenthaltserlaubnis oder Einbürgerung warten müssten, bedeute dies wegen der fehlenden Perspektive auch ein "Integrationshindernis". Ein weiteres Chaos drohe, wenn der Bund nicht die Anfang des Jahres auslaufenden Papiere für ukrainische Kriegsflüchtlinge pauschal verlängere, erklärte der Oberbürgermeister. Alle drei warnten davor, dass ein Zurückfahren der Angebote für die Bürger den Zusammenhalt der Stadtgesellschaft massiv gefährde – nicht zuletzt durch aufkeimende Neiddebatten.
"Die Anfeindungen nehmen zu", berichtete Klingebiel. „Früher waren das ein paar Spinner; heute ist der Ton durchweg rauer." Kaum noch ein Bürger würde einen ablehnenden Bescheid klaglos akzeptieren; die Wut mache selbst vor Familienmitgliedern nicht Halt. So habe seine über 90-jährige Mutter Briefe mit dem Vorwurf erhalten, wen sie denn da zur Welt gebracht habe. Innenministerin Daniela Behrens (SPD), die den verhinderten Ministerpräsidenten vertrat, sicherte den Amtsträgern in den Rathäusern ihre volle Unterstützung zu. "So geht man miteinander nicht um." Polizei und Behörden würden derartige Attacken konsequent verfolgen.

Sichert den Kommunen ihre Unterstützung zu: Innenministerin Daniela Behrens (SPD).
Und noch ein Versprechen brachte Behrens mit. Sie wolle für eine bessere Finanzausstattung der Kommunen sorgen. "Als Innenministerin ist es mein großer Anspruch, dass wir funktionierende Städte, Gemeinden und Landkreise haben." Dort vor Ort nämlich erlebten die Menschen direkt die Demokratie. "Ich habe kein Interesse daran, dass die wesentliche Ebene des Staates, nämlich Städte und Gemeinden, in die Knie gehen."
Daher werde man jetzt gemäß des rot-grünen Koalitionsvertrages den Kommunalen Finanzausgleich (KFA) überprüfen und auch verbessern, kündigte die Ressortchefin an. Und dies gelte sowohl für die horizontale als auch die vertikale Ebene des KFA. Erstere beschreibt den üblichen Ausgleich zwischen den Kommunen. Hinter der zweiten Ebene verbirgt ein zusätzlicher Finanzstrom direkt vom Land in die Kommunen. Das Problem: Dieses Instrument gibt es bislang nicht. Und Niedersachsens Finanzminister Gerald Heere (Grüne) sträubt sich bislang auch vehement dagegen.