433 Brücken an Bundesfernstraßen in Niedersachsen sind baufällig. Bei Autobahnbrücken sind 226 Teilbauwerke so marode, dass sie bis spätestens 2035 ersetzt werden müssen. Das ergibt sich aus einer Antwort des Bundesverkehrsministeriums auf Anfrage der Vizevorsitzenden der Grünen-Bundestagsfraktion, Julia Verlinden, aus Lüneburg. In einer Aufstellung, die dem WESER-KURIER vorliegt, bescheinigt das Ministerium von Ressortchef Volker Wissing (FDP) fast drei Viertel dieser Brücken beim so genannten Traglastindex die schlechteste von insgesamt fünf Stufen. Statt Geld in neue Autobahnen wie die A 20 oder A 39 zu stecken, müssten die Mittel schnell in die Bestandserhaltung wichtiger Fernverbindungen fließen, fordert Verlinden.
Baufällig sind auch die Überführungen der A 1 über die Bollener Landstraße bei Bremen-Mahndorf und über die B 6 an der Anschlussstelle Brinkum sowie vier Teilbauwerke der A 1 und A 27 im Bereich des Bremer Kreuzes Richtung Hannover und Cuxhaven. Sie alle bekommen in der Liste des Ministeriums die Zustandsnote „noch ausreichend“. Als Zeithorizont für die Ersatzbauten oder zumindest eine Verstärkung der Traglast werden die Jahre 2026 bis 2030 angegeben.

Die Grünen Vize-Fraktionschefin im Bundestag, Julia Verlinden, hält nichts von neuen Autobahnen, solange marode Fernstraßen dringend eine Sanierung brauchen.
Nicht viel besser sieht es an den Bundesstraßen in Niedersachsen aus. Dort müssen laut Ministerium 207 Teilbauwerke aufgrund ihres schlechten Zustands näher untersucht und gegebenenfalls bis 2030 saniert werden. Hier fielen 49,8 Prozent der Brücken in ihrer letzten Prüfung beim Traglastindex durch. Schwacher Trost: Keine der Überführungen ist akut einsturzgefährdet. „Im niedersächsischen Zuständigkeitsbereich der Autobahn GmbH des Bundes gibt es keine Brücke, die aus heutiger Sicht vorübergehend oder dauerhaft gesperrt werden muss“, heißt es in der Ministeriumsauskunft. Gleiches gelte auch für die Bundesstraßen.
Für Grünen-Parlamentarierin Verlinden ist es dennoch höchste Zeit zu handeln. „Die Antwort des Bundesverkehrsministeriums führt deutlich vor Augen, wie dramatisch es um die Brücken an den Bundesfernstraßen in Niedersachsen steht.“ Bevor Brücken komplett dichtgemacht werden müssten und sich Situationen wie die Sperrung der nicht mehr zu sanierenden Talbrücke Rahmede der A 45 bei Lüdenscheid (Nordrhein-Westfalen) auch in Niedersachsen häuften, sollten Bund und Land schnellstmöglich tätig werden. Berlin und Hannover müssten alles daransetzen, Ressourcen zur Brückensanierung zur Verfügung zu stellen, verlangt die Fraktionsvizechefin.
Erhalt statt Neubau
Ihr Lösungsvorschlag lautet, sowohl Geldmittel als auch personelles Fachwissen aus der Planung neuer Autobahnen und Bundesstraßen in den Erhalt der Brücken umzuschichten. „Bestandserhalt wichtiger Verkehrsadern muss Vorrang vor Neubau haben“, betont Verlinden im Gespräch mit dem WESER-KURIER. „Solange 433 Brückenbauwerke an Bundesfernstraßen in Niedersachsen baufällig sind, ist eigentlich nicht nachvollziehbar, wie überhaupt Ressourcen in die Neubauplanung von Autobahnen wie die A 20, die A 39, die A 33 Nord und in den Neubau- oder Ausbau von Bundesstraßen gesteckt werden können.“ Die Neubauprojekte sind einer der Hauptknackpunkte bei den Koalitionsverhandlungen von SPD und Grünen in Niedersachsen.
Für die Brücken entlang von Autobahnen ist die Autobahn GmbH des Bundes zuständig, für Brücken entlang von Bundesstraßen agiert das Land Niedersachsen als Auftragsverwalter, zuständig ist hier die Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr (NLStBV). Problem: Offenbar verfügen weder die Bundesgesellschaft noch die niedersächsische Behörde über ausreichend Planungsingenieure. Die Baubranche beklagt eine extrem schlechte Auftragslage bei der Brückensanierung. Es würden kaum Brücken zur Sanierung durch die zuständigen Behörden ausgeschrieben.
Von den rund 27.000 Autobahnbrücken in Deutschland gelten 4000 als ähnlich marode wie die Talbrücke Rahmede. Sie sollen laut Bund bis 2030 erneuert oder zumindest grundsaniert werden. Die Autobahn GmbH hat angekündigt, pro Jahr 400 entsprechende Aufträge zu vergeben. Tatsächlich sind es nach Angaben des Baugewerbes gerade mal 100.
Die viel befahrene Nord-Südachse der A 45 ist bei Lüdenscheid seit Dezember 2021 gesperrt; der Fernverkehr wird laut ADAC weiträumig über die A 4, A 3, A 1 und A 44 umgeleitet. Bundesverkehrsminister Wissing hat im August angekündigt, dass hier das Vergabeverfahren zumindest für den Abriss der Talüberquerung abgeschlossen worden sei. Die kaputte Brücke solle noch vor Weihnachten gesprengt werden. Auf ein Jahr, wann der Ersatz fertig sein könnte, wollte sich der Ressortchef jedoch nicht festlegen. Mit bis zu fünf Jahren Bauzeit müsse man rechnen, sagen Experten.