Die Kosten für die drei großen Autobahnprojekte in Niedersachsen ufern weiter aus. So taxiert das Bundesverkehrsministerium den finanziellen Aufwand für die Küstenautobahn A 20 von Westerstede bis nach Drochtersen mit Anschluss an die A 26 bei Stade inzwischen auf 3,935 Milliarden Euro. Vor anderthalb Jahren lag die Kalkulation noch bei 2,858 Milliarden Euro. Im Bundesverkehrswegeplan (BVWP) 2016 sind die acht Abschnitte noch mit insgesamt 2,589 Milliarden Euro veranschlagt. Die Preissteigerung seitdem beträgt mithin 52 Prozent.
Noch schlimmer sieht es mit der geplanten Elbquerung von Drochtersen nach Glückstadt in Schleswig-Holstein aus: Im BVWP 2016 sollte diese Verbindung 390 Millionen Euro kosten. Inzwischen sind für den mittlerweile geplanten Tunnel 1,502 Milliarden Euro taxiert – eine Steigerung um 285 Prozent. Die Gesamtkosten für das Projekt in beiden Ländern erreichen jetzt 6,525 Milliarden Euro – 2,780 Milliarden mehr als ursprünglich mal angesetzt. Während die Grünen die A 20 und die beiden anderen Projekte auf den Prüfstand stellen wollen, hält die noch amtierende Große Koalition von SPD und CDU in Niedersachsen daran fest.
Die aktuellen Kostenzahlen ergeben sich aus einem 117-seitigen Bericht des Verkehrsministeriums von Ressortchef Volker Wissing (FDP), den das Bundesfinanzministerium jetzt an den Haushaltsausschuss des Bundestages übermittelt hat. Die Aufstellung über die bundesweiten Aus- und Neubauprojekte für Fernstraßen, Wasserwege und Schienennetze liegt dem WESER-KURIER vor.
Danach schnellen auch die Preise für die 106 Kilometer lange A 39 von Lüneburg nach Wolfsburg in die Höhe. Die neue Kalkulation beläuft sich auf 1,567 Milliarden Euro nach den 1,352 Milliarden Euro, die der damalige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) im Frühjahr 2021 bekannt gegeben hatte. Im BVWP 2026 waren es sogar nur 1,038 Milliarden Euro. 51 Prozent beträgt mithin die Kostensteigerung. Davon betroffen sind ebenfalls diverse Zubringerbundesstraßen für die A 39.
Noch dramatischer sieht es bei der A 33, den Lückenschluss von Osnabrück-Belm bis zur A 1, aus. Die Kosten sind von 142,3 Millionen Euro im vergangenen Jahr auf jetzt 184,3 Millionen Euro angewachsen. Gegenüber dem BVWP 2016, wo lediglich 87 Millionen Euro standen, bedeutet das eine Steigerung von 112 Prozent.
„Die derzeitigen Kostenexplosionen bei der A 20 und A 39 sind bei Weitem noch nicht das Ende der Fahnenstange“, befürchtet der Bundestagsabgeordnete Sven-Christian Kinder (Grüne) aus Hannover. Denn die massiv gestiegenen Bau- und Energiekosten durch den russischen Krieg und gestörte Lieferketten seien noch gar nicht in den Zahlen des Bundesverkehrsministeriums enthalten. „Angesichts der großen Milliardenkosten und der eskalierenden Klimakrise müssen wir den Bundesverkehrswegeplan grundlegend reformieren“, fordert Kindler im Gespräch mit dem WESER-KURIER. „Die vorhandenen Fachkräfte, enge Kapazitäten bei Planung und Bauwirtschaft und die begrenzten Haushaltsgelder müssen wir auf den Erhalt von maroden Straßen, insbesondere bei Brücken, und in die klimafreundliche Schiene konzentrieren.“
Kindler: Autobahnbau aus der Zeit gefallen
Die A 20 und die A 39 seien angesichts der Klimakrise, ihrer Naturzerstörung, ihres geringen verkehrlichen Nutzens, begrenzter finanzieller Mittel sowie Baukapazitäten und besserer Alternativen aus der Zeit gefallen, kritisiert Kindler. „Die unrealistische Wünsch-Wir-Dir-Was-Verkehrspolitik, die SPD-Ministerpräsident Weil und CDU-Wirtschaftsminister Bernd Althusmann bei der A 20 und A 39 betreiben, ist nicht mehr zeitgemäß.“ Die künftige Landesregierung müsse bei limitierten Haushaltsgeldern klare Prioritäten für eine moderne, klimafreundliche Verkehrsinfrastruktur setzen.
Althusmann: Autobahnbau wichtig für die Wirtschaft
Ressortchef Althusmann weist die Vorwürfe zurück. „Diese Autobahnvorhaben sind von enormer Bedeutung, um Niedersachsen als Logistik- und Wirtschaftsstandort leistungsfähig und attraktiv zu halten“, sagt der CDU-Spitzenkandidat dem WESER-KURIER. Die Prognosen zeigten, dass Auto- und Güterverkehr in den kommenden Jahren weiter zunehmen werden. „Die Projekte werden für mehr Kapazitäten auf der Straße und für bessere Anbindungen der einzelnen Regionen sorgen, was den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort zugutekommt“, meint der Minister.
Ähnlich sehen es Regierungschef Stephan Weil und seine Genossen. In ihrem Wahlprogramm, das die SPD im Mai mit überwältigender Mehrheit verabschiedete, befindet sich ein klares Bekenntnis zu den großen Projekten: „Wir sind für die konsequente Weiterplanung und den Weiterbau der A 20 über Elbe und Weser, einschließlich der A 26 bis Hamburg sowie der A 39 zwischen Wolfsburg und Lüneburg“, heißt es dort. Ob und welche Rolle die neuen Kostenexplosionen in den Koalitionsverhandlungen nach der Landtagswahl spielen, bleibt abzuwarten.