Das Prädikat „edel“ macht es Spargelbauern derzeit schwer, ihr Saisongemüse an die Kundschaft zu bringen – sie übt Kaufzurückhaltung. Ebenso ergeht es Erdbeererzeugern, oftmals Betreiber derselben Höfe. Aus Verzweiflung darüber, dass die Preise am Boden sind, hat Landwirt Andreas Rahmann im Münsterland einen radikalen Schnitt gemacht: Weil er vom Lebensmittelhandel für 500 Gramm Erdbeeren nur rund einen Euro erhält, hat er seine Pflanzen samt Früchten abgemäht.
Fred Eickhorst kennt den spektakulären Fall aus dem Nachbarbundesland. Der Geschäftsführer und Vorstandssprecher der Vereinigung der Spargel- und Beerenanbauer in Niedersachsen hat Verständnis dafür, dass sich Rahmann „nur noch selbst vermarkten“ wolle: „Der Politik haben wir es zu verdanken, dass wir die teuerste Produktion haben – mit aktuell 9,82 Euro Mindestlohn, aber eben auch mit den besten Standards.“ In Spanien, dem wichtigsten Herkunftsland importierten Spargels, seien es wenig mehr als sechs Euro. In Peru würden Stundenlöhne von umgerechnet 1,16 Euro gezahlt.
„Der Lebensmitteleinzelhandel spielt uns gegen das Ausland aus“, sagt Eickhorst und nennt als dritten Grund für die Misere: „Der Kunde kauft im Supermarkt immer günstig ein.“ Das gehe zulasten der regionalen Ware. Dazu komme der stetige Rückgang der Anbauflächen und damit der erzeugten Mengen. Nach offiziellen Angaben ist Spargel die Gemüseart mit der größten Anbaufläche in Deutschland: Im Jahr 2020 wurden demnach auf 22.400 Hektar 117.560 Tonnen Spargel geerntet. Zusätzlich wurden rund 50.000 Tonnen importiert, um den Bedarf zu decken.
Anbaufläche geht zurück
Laut niedersächsischem Landesamt für Statistik wurden im vergangenen Jahr Erdbeeren auf 2500 Hektar angebaut, 2017 waren es 3000 Hektar. 2021 wurden rund 26.200 Tonnen geerntet, annähernd ein Viertel weniger als im Jahr zuvor. Ursachen laut Landesamt: weniger Anbauflächen, heftiger Regen und die Pandemie. Aber nicht nur Corona, auch der Krieg in der Ukraine löse „Existenzängste“ bei der hiesigen Kundschaft aus, ist Fred Eickhorst überzeugt: Die Verunsicherung führe dazu, dass sich die Menschen „Geld vom Mund absparen, das betrifft alles Obst und Gemüse, und der Biobereich ist davon mit Abstand am stärksten betroffen“.
Eigentlich müssten Lebensmittel angesichts der Produktionskosten noch teurer sein, sagt Hajo Kaemena, Bremens einziger Spargel- und Erdbeerbauer. Dass andere Lebensmittelbereiche ebenfalls betroffen sind, hat auch Jörn Ehlers festgestellt, Vorsitzender des Kreislandvolkverbandes Rotenburg/Verden. Was im Einzelhandel geschehe, wirke sich unmittelbar auf die Direktvermarktung aus. „Mit der Gemengelage müssen wir uns auseinandersetzen.“ Kristian Wichmann, Inhaber eines Spargel- und Erdbeerhofs in Bassum, sieht das entspannter: „Es gab schon immer Leute, die preisbewusst einkaufen – aber auch diejenigen, die regionale, frische Produkte wollen.“
Sonja Alfken, die auf ihrem Hof in Groß Köhren im Landkreis Oldenburg Spargel und Erdbeeren überwiegend direkt verkauft, beschreibt die Lage als „stabil“. Durch das zwischenzeitlich kühlere Wetter habe sich der Vermarktungsstress verringert. Sie pausiere erst mal eine Woche mit Lieferungen an den Handel.
Dass die Kundschaft noch mehr auf den Preis achte als sonst, weiß die Landwirtin. „Und dass wir an unseren Ständen so viel teurer sind als Supermärkte, ist schwer zu vermitteln.“ Die Marktbetreiber wiederum zeigten zwar Verständnis für ihre Lage, müssten sich aber an die Vorgaben ihrer Zentralen halten. Bei ihr koste das Pfund Erdbeeren 4,50 Euro, „im Supermarkt die Hälfte“. Ihre Spargelpreise liegen zwischen 7,90 und 12,90 Euro je Kilogramm. „Im Supermarkt lag der Preis vor Kurzem bei sechs bis sieben Euro“, sagt Sonja Alfken, deshalb verkaufe sie ihr Gemüse ausschließlich selbst. „Die Erdbeersaison hat ja gerade erst begonnen. Wir bleiben optimistisch.“
Weniger regional erzeugtes Gemüse
Fred Eickhorst, dessen Vereinigung in Bremen und Niedersachsen rund 300 Spargel- und 275 Erdbeerbetriebe angehören, blickt wenig zuversichtlich in die Zukunft: Nur 35 Prozent des in Deutschland gehandelten Gemüses und 19 Prozent des Obstes würden auch hier angebaut. „Bei Heidelbeeren lag die Quote vor elf Jahren bei 80 Prozent, jetzt sind es noch 14 Prozent“, sagt er. „Wenn die Leute weiter Versorgungssicherheit wollen, müssen sie wirklich regionale Produkte kaufen.“