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Erzeugerpreise klettern Was für die Bauern übrig bleibt

Seit 1961 werden die Erzeugerpreise für Milch, Getreide, Fleisch oder Kartoffeln statistisch erfasst. Nie stiegen die Preise stärker als jetzt. Wir haben mit vier Bauern darüber gesprochen, was sie davon haben.
27.05.2022, 18:19 Uhr
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Was für die Bauern übrig bleibt
Von Marc Hagedorn
Inhaltsverzeichnis

Die Erzeugerpreise für landwirtschaftliche Produkte sind in diesem März im Vergleich zum März 2021 um 34,7 Prozent gestiegen. Das ist laut Statistischem Bundesamt der höchste Anstieg seit Beginn der Erhebung im Jahr 1961. Ein Plus von 91,7 Prozent bei Kartoffeln, ein Plus von 70,2 Prozent bei Getreide, 33,3 Prozent mehr für die Milch und 21 Prozent fürs Schwein – alles gut also bei den Bauern? Wir haben mit vier Landwirten aus Bremen und umzu gesprochen.

Jörn Ehlers, Schweinemäster aus Holtum (Geest)

Freitag, der 13. Mai, war für Jörn Ehlers ein „schwarzer Freitag“. Von einem „Schlag mit der Faust ins Gesicht“ aller Schweinehalter spricht der 50-jährige Landwirt. Am Freitag, den 13., hatten Berufskollegen in Süddeutschland Post bekommen. Absender: Vion, einer der größten Lebensmittelproduzenten in Europa. In dem Schreiben teilte der weltweit operierende Konzern mit, dass man den Bauern weniger als ursprünglich vereinbart fürs Schwein zahlen werde.

1,60 Euro statt 1,80 Euro pro Kilo. Unterm Strich wären das 20 Euro weniger pro Tier, rechnet Ehlers vor. „Dramatisch“ nennt er diesen Schritt. Wie Hohn kommt es ihm vor, dass sich Vion auf seiner Homepage als „zuverlässigen Partner“ der Schweinehalter bezeichnet. „Das tatsächliche Vorgehen zeigt vielmehr, wie einfach es heutzutage für Schlachtunternehmen geworden ist, frech die eigene Marktmacht gegenüber Lieferanten einzusetzen“, sagt Ehlers. 2,40 Euro bis 2,50 Euro bräuchten die Bauern eigentlich, so Ehlers. Und tatsächlich hatten er und seine Kollegen im März Hoffnung. Auf fast zwei Euro waren die Preise gestiegen. Aber jetzt ist der Aufschwung schon wieder vorbei, bevor er richtig begonnen hat.

Ehlers malt ein düsteres Bild von der Zukunft der Schweinehaltung in Deutschland. Jedes Jahr geben inzwischen zehn Prozent der Betriebe auf. Die Branche leidet unter allen landwirtschaftlichen Sparten am meisten. Es ist keine zwei Jahre her, dass China den Import von deutschem Schweinefleisch wegen der Afrikanischen Schweinepest verboten hat. Während der Hochphasen der Corona-Pandemie kam es zu weniger Schlachtungen in den Schlachthöfen. Die Folge waren Schweinestaus in den Ställen der Bauern. Und jetzt treibt der Krieg in der Ukraine die Energiekosten hoch.

„Gefühlt kommt im Moment alles zusammen“, sagt Ehlers. Und gerade jetzt vermisst er die Hilfe der Politik. „Sie könnte uns zur Seite stehen“, sagt er, „sie tut es aber nicht.“ Dabei geht es Ehlers gar nicht so sehr um Hilfen wegen Corona oder des Ukraine-Krieges. Sondern um eine klare Linie, beim geforderten Umbau der Landwirtschaft.

Das Vorgehen zeigt, wie einfach es heutzutage für Schlachtunternehmen geworden ist, frech die eigene Marktmacht gegenüber Lieferanten einzusetzen.
Jörn Ehlers

Mehr Tierwohl, mehr Auslauf, mehr Platz in den Ställen, das ist politisch und gesellschaftlich gewünscht. Wie das finanziert werden soll, ist dagegen unklar. „Der Markt, die Verbraucher, die Landwirte – sie allein können es nicht stemmen“, sagt Ehlers. Es könnte eine Mehrwertsteuererhöhung geben oder eine Tierwohlabgabe. Auch müsste der Lebensmitteleinzelhandel stärker in die Verantwortung genommen werden, findet Ehlers. „Aber es passiert nicht.“ Das verunsichere einen ganzen Berufsstand.

Vorläufig beruhigt hat sich die Aufregung um die Vion-Ankündigung, weniger zahlen zu wollen. Nach lautem Bauernprotest und Zusagen anderer Schlachtkonzerne wie Tönnies oder Westfleisch, sich an die vereinbarten Preise halten zu wollen, ruderte Vion zurück. Der Konzern sprach von einem „Missverständnis“ und einer mit der Geschäftsleitung nicht abgestimmten Aktion.

Bernd Ehlers, Getreidebauer aus Groß Ippener

Häufiger als die aktuellen Nachrichten aus der Ukraine checkt Bernd Ehlers zurzeit nur seine Wetter-App auf dem Handy. „In den nächsten Tagen entscheidet sich, wie die Ernte ausfällt“, sagt der 38-Jährige. Jetzt bildet sich das Korn, bevor ab Juli und August geerntet werden kann. Was er sich bis dahin wünscht? „Ausreichend Regen“, sagt Ehlers. Bis vor einigen Tagen sei es noch zu trocken gewesen. Die ersten Trockenschäden, sagt er, seien bereits sichtbar. Er verfällt zwar nicht in Panik, sagt aber auch: „Das ist schon ein Nervenkitzel, wenn man weiß, dass man von einer guten Ernte abhängig ist, weil man davon lebt.“

Ehlers baut unter anderem Weizen an. Weizen, der weltweit knapper wird. Ende des vergangenen Jahres verlor Australiens Weizenernte massiv an Qualität. Indien hat vor wenigen Tagen unter dem Eindruck einer Hitzewelle ein Exportverbot ausgesprochen, um die eigenen Verbraucher zu schützen. Und seit Februar sorgt der russische Krieg gegen die Ukraine dafür, dass in diesem Jahr ein großer Teil der Weizenmenge weltweit fehlen wird. Die Ukraine ist einer der größten Exporteure. Doch jetzt liegt Weizen in Häfen fest, sind Felder zerstört, ist an vielen Orten nicht ausgesät worden. „Der Preis schaukelt sich hoch“, sagt Ehlers. Um die 20 Euro pro 100 Kilogramm gab es in der jüngeren Vergangenheit für die Bauern, aktuell liegt der Preis bei über 40 Euro.

Der Anstieg kommt den Bauern sehr gelegen. Denn parallel sind auch ihre Kosten nach oben gegangen. Beispiel Düngemittel: Ehlers muss Harnstoff kaufen, es fördert die Stickstoffversorgung der Pflanzen. 42 Euro habe er vor einem Jahr für 100 Kilogramm gezahlt, jetzt seien es 120 Euro. Der Grund: Die hohen Erdgaspreise, denn für die Herstellung von Harnstoff ist viel Erdgas notwendig.

Seit 21 Jahren arbeitet Ehlers in der Landwirtschaft, selten war er mit der Politik so unzufrieden wie jetzt. Zu viel Ideologie sei ihm im Spiel, sagt er und nennt das Beispiel Flächenstilllegung. Die EU will, dass ab 2023 auf mindestens vier Prozent der Ackerfläche nichts mehr wachsen soll. Landwirte sollen diese Flächen ab Herbst nicht mehr beackern und nicht mehr einsäen, um EU-Direktzahlungen zu erhalten, die sogenannte Einkommensgrundstützung. Mit Blick auf die weltweite Weizenverknappung sagt Ehlers: „Da nimmt man in Kauf, dass noch mehr Menschen hungern werden.“

Jürgen Brüning, Kartoffelbauer aus Lilienthal

Die Worpsweder Perle gehört einfach in eine Tüte. So und nicht anders kennen es die Fans der Speisekartoffeln vom Hof Brüning. Die Worpsweder Perle wird in Edeka-Märkten im Großraum Bremen verkauft. Brüning liefert sie außerdem an einen Großhändler, der Rewe-Märkte versorgt. Ein kleinerer Teil der Kartoffeln, rund fünf Prozent, geht an Restaurants in der Region. Und in ihrem Hofladen verkauft die Familie auch noch ein paar Tüten. Doch jetzt ist die Tüte ein Problem.

Die Papierpreise sind gestiegen: um 20 Prozent. Die Lieferzeit hat sich mehr als verdoppelt – auf sieben Monate. Schweren Herzens, sagt Brüning, habe er die Preise für seine Kartoffeln zu Ostern um zehn Prozent anheben müssen, auch weil die Energie- und Düngepreise so stark angezogen haben. Als neulich ein Kunde nachfragte, ob das denn wirklich sein müsse, erzählte Brüning, dass es ihn im Moment 500 Euro koste, seinen Trecker vollzutanken. Wie lange er damit dann auskomme, wollte der Kunde auch noch wissen. Zwei Tage, sagt Brüning, habe er geantwortet. Und der Kunde? Habe gestaunt. Und Verständnis gezeigt.

Die Deutschen und ihre Kartoffeln, „eine stabile Beziehung“, sagt Brüning. Deshalb geht es den Kartoffelbauern auch vergleichsweise gut. Zwischen 40 und 45 Tonnen pro Hektar hat Brüning in den vergangenen Jahren stets geerntet. Das ist nahe am deutschen Durchschnitt.

In den vergangenen vier Jahren schwankte der Erzeugerpreis zwischen sieben und 32 Euro, zurzeit liegt er bei 21 Euro. Brüning kann mit den aktuellen Preisen deshalb leben. Er vermarktet seine Kartoffeln selbst. Mit seinem größten Abnehmer seit 20 Jahren, der Edeka-Gruppe, legt er die Preise langfristig fest. Von einer „sehr fairen Partnerschaft“ spricht er.

Carsten Schnakenberg, Milchviehhalter aus Borgfeld

Der Erzeugerpreis für Milch steigt und steigt und steigt. Seit einem Jahr geht das so, anfangs langsam, zuletzt rasant. Seit Februar 2021 von 34,6 Cent auf aktuell über 45 Cent pro Kilogramm. „Das ist natürlich gut für uns“, sagt Carsten Schnakenberg. Er betreibt einen Hof mit 250 Kühen. Milch ist knapper geworden auf dem Weltmarkt. Schnakenberg kennt es noch anders. Von „Butterbergen“ und „Milchschwemmen“ war vor einigen Jahren noch die Rede. Das ist aktuell vorbei.

Der Preisanstieg kommt für die Landwirte zur rechten Zeit, denn ihre Kosten steigen an anderer Stelle: beim Futter, beim Dünger, bei den Sprit- und Energiepreisen. Und weil auch die Verbraucher merken, dass alles teurer wird, ist sich Schnakenberg sicher, dass bei den Erzeugerpreisen bei 50 Cent Schluss sein wird, das sei „die magische Grenze“.

Ein 250-Gramm-Päckchen Butter kostete Anfang Mai bereits über drei Euro. „Das geht der Kunde nicht lange mit“, sagt Schnakenberg. Bei Lebensmitteln, glaubt er, werde es den Menschen leichter fallen, zu sparen als bei Strom- und Heizkosten. Schon jetzt, so Schnakenberg, gebe es eine Kaufzurückhaltung bei Bio- und Markenprodukten.

Jetzt hat jeder Bremer wieder die Möglichkeit, Milch von Bremer Kühen zu trinken.
Carsten Schnakenberg über die Marke Bremerland

Schnakenberg liefert seine Milch an das Deutsche Milchkontor (DMK). Unter dessen Dach ist vor zwei Jahren die Bremer Traditionsmarke Bremerland wiederbelebt worden. Eine Gruppe Bremer DMK-Landwirte hatte die Idee seinerzeit angeschoben und bei der Bremer Landwirtschaftskammer und beim Senat dafür geworben. „Jetzt hat jeder Bremer wieder die Möglichkeit, Milch von Bremer Kühen zu trinken“, sagt Schnakenberg. Für ihn ein perfektes Beispiel dafür, was Landwirte, Politik und Lebensmittelhersteller bewegen können, wenn sie gemeinsame Sache machen.

Es ist noch gar nicht lange her, da hatte Schnakenberg diese Hoffnung auch auf Bundesebene. „Als Cem Özdemir Bundeslandwirtschaftsminister geworden ist, habe ich ihn für einen Pragmatiker wie Habeck gehalten“, sagt er. Ein gutes halbes Jahr später ist der Bremer Landwirt enttäuscht. „Özdemir spricht nicht mit uns Bauern.“ Verärgert sind Landwirte bundesweit über die jüngsten Aussagen des Ministers am Rande des G7-Agrarministertreffens. Dort bezeichnete Özdemir Landwirte, die ihn kritisiert hatten, als „radikalen Rand“. Für Schnakenberg ein Unding. „Die Herausforderungen der Zukunft“, sagt er, „werden wir nur gemeinsam bewältigen können.“

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