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Zweiter Weltkrieg Für wenige Tage im Fokus der Weltgeschichte

In einer stillgelegten Grube im Harz versteckten die Nationalsozialisten wichtige Akten über die Entwicklung der V2-Rakete vor den Alliierten - aber nur für kurze Zeit.
04.03.2023, 05:00 Uhr
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Von Reimar Paul

1945 spielte das Eisenerzbergwerk Georg-Friedrich nahe des heutigen Liebenburger Ortsteils Dörnten für kurze Zeit eine wichtige Rolle in der Weltgeschichte. In einem Stollen der Anlage waren für wenige Wochen die Peenemünder Geheimakten des Raketentechnikers Wernher von Braun und seines Forschungsteams versteckt. Der Goslarer Geologe, Umweltschützer und Hobby-Historiker Friedhart Knolle hat die auch vor Ort immer noch weitgehend unbekannte Geschichte über Jahre recherchiert und dafür die wenigen zugänglichen Quellen ausgewertet.

Entwicklung der "Vergeltungswaffe 2"

Von Braun leitete ab 1939 die Entwicklung der von den Nazis sogenannten „Vergeltungswaffe 2“ (V 2) in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde an der Ostsee. Die Rakete mit der Typenbezeichnung Aggregat 4 (A 4) war 1942 weltweit die erste funktionsfähige Großrakete mit Flüssigkeitstriebwerk und hatte als ballistische Artillerie-Rakete eine große Reichweite. Bei der Konstruktion und den Tests waren auch Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge beschäftigt. Ab 1944 kam die „Wunderwaffe“ zum Einsatz, die dabei von den Nationalsozialisten herbeigeredete Kriegswende blieb aber aus.

Alliierte entdeckten die Anlage 1943

Die Alliierten entdeckten die Anlage in Peenemünde 1943 und bombardierten sie massiv. Die anlaufende Produktion der V 2, aber auch anderer Waffen wurde deshalb in das Stollenlabyrinth unter dem Kohnstein bei Nordhausen (Thüringen) verlegt. Dort entstand auch das berüchtigte unterirdische KZ Mittelbau-Dora. Die Raketenforschung lief zunächst in Peenemünde weiter, bis die meisten beteiligten Wissenschaftler und Konstrukteure Ende 1944 nach Bleicherode bei Nordhausen umzogen.

Anfang 1945 kamen die alliierten Truppen Nordhausen immer näher. Von Braun ließ deshalb umfangreiches Akten- und Planmaterial verbrennen. Die wichtigen Dokumente wie Zeichnungen und Versuchsprotokolle mit einem Gewicht von insgesamt 14 Tonnen – einige Quellen sprechen von zehn Tonnen – ließ er indes auf Lastwagen verladen und beauftragte seinen Assistenten Dieter Huzel mit der Suche nach einem sicheren Ort. Von Braun selbst wurde mit seinem Kernteam nach Süddeutschland evakuiert.

Huzel fragte beim Oberbergamt Clausthal und beim Bergamt Goslar nach nicht mehr genutzten Bergwerksstollen – noch betriebene Schachtanlagen kamen für eine Einlagerung der Akten nicht infrage, da die Zahl der Mitwisser möglichst klein gehalten werden sollte. Beim zunächst vergeblichen Vorsprechen auf den Ämtern soll Huzel wütend ausgerufen haben: „Hier sind die wichtigsten Dokumente, die es in Deutschland gibt, und wir können sie nicht schützen!“

Grube als Geheimversteck

Bergrat Ernst Cornelius hatte dann doch noch eine Idee: Da gebe es eine Eisenerzgrube bei Dörnten, in der ein Stollen bereits stillgelegt sei. Huzel und Cornelius suchten umgehend den pensionierten Betriebsführer Karl Nebelung des Grube Georg-Friedrich auf und brachten ihr Anliegen vor.

Nebelung war sofort mit von der Partie und schlug als Einlagerungsort eine alte Sprengstoffkammer im Eisenkuhlenstollen des Bergwerks vor. Eine Förderbahn führte vom Betriebshof in den Berg bis zur Kammer. Diese war stabil und trocken, etwa 20 Quadratmeter groß und vier Meter hoch. „Ideal, wie für uns geschaffen“, befand Huzel, „nun müssen wir nur noch das Material hineinbekommen.“

Einlagerung im April 1945

Die kleine Gruppe kam überein, dass Nebelung mit einigen vertrauenswürdigen Bergleuten die Vorbereitungen vor Ort treffen sollte, während Huzel die Anfahrt der Laster organisierte. Die Lkw waren zwischenzeitlich in Lerbach im Oberharz und in einem Steinbruch bei Goslar versteckt worden. Im Dunkeln brachte Huzel die Fahrzeuge nach Dörnten, dort wurde das Material von Hand auf den Förderzug umgeladen und in die vorgesehene Kammer gebracht. Am 6. April 1945 war die Einlagerung der Akten beendet, Nebelung und seine Vertrauensleute sprengten anschließend den Eingang zur Kammer zu.

Außer den Genannten wussten nur Huzels Begleiter Bernhard Tessmann, der ehemalige Peenemünder Verwaltungschef Karl-Otto Fleischer und von Braun selbst, dass die Akten in Dörnten lagerten. Den genauen Ort des Verstecks kannten sie allerdings nicht.

Unter dem US-Oberst Holger Toftoy, der schon vor und auch unmittelbar nach Deutschlands Kapitulation die Peenemünder Wissenschaftler anwerben sollte, begann die Suche nach den Dokumenten. Zu Toftoys Stab gehörte Major Robert Staver. Ihm gelang es, Fleischer zum Reden zu bringen. Ein US-Pionier-Kommando brach nach Dörnten auf und entdeckte schließlich die verschlossene Kammer. Die Soldaten arbeiteten in drei Schichten rund um die Uhr, um den wertvollen Aktenbestands freizulegen.

Am 26. Mai 1945 wurden die Dokumente geborgen und umgehend in das Foreign Documents Evaluation Center bei Aberdeen im US-Staat Maryland verbracht. Damit besaßen die US-Amerikaner nun die relevanten Akten, die wichtigsten Ingenieure sowie etwa 100 im Kohnstein sichergestellte V 2-Raketen und zahlreiche weitere Waffenmuster und Einzelteile.

Kurze Zeit später rückten die Briten in die Nordharzregion ein. Die Rote Armee übernahm Raum Nordhausen und sicherte sich die Technik, die ihr die US-Amerikaner übrig gelassen hatten. Wernher von Braun hatte sich mit seinem Kernteam bereits am 2. Mai in Tirol der US-Army gestellt. Nach Kriegsende leistete er bekanntlich – mittlerweile als US-Staatsbürger – entscheidende Beiträge zur Landung der ersten Menschen auf dem Mond.

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