Klein Sehlingen. Das war's: Ein halbes Jahr lang hat die Niedersachsen-Redaktion des WESER KURIER über das Schwein im Allgemeinen und das Redaktionsschwein im Besonderen berichtet. Dabei kamen Schweinehalter, Tierschützer, Tierärzte, Schweinehändler, Politiker und eine Ernährungsberaterin zu Wort. Was bleibt nach zwölf Folgen? Vor allem bei der Haltung der Schweine liegt noch einiges im Argen. Doch es ist auch ein Umdenken zu beobachten - in der Branche und in der Politik. Beide versuchen, das durch etliche Skandale verlorene Vertrauen der Verbraucher zurückzugewinnen.
Seit Mittwoch ist das Redaktionsschwein in der Obhut des Deutschen Tierschutzbundes. Sein Präsident Wolfgang Apel hat es mit Helfern in Klein Sehlingen (Kreis Verden) abgeholt. Warum es nicht, wie geplant, von Landschlachter Richard Tödter in Posthausen zu Wurst und Kotelett verarbeitet wird, sondern jetzt auf einem Gnadenhof in Schleswig-Holstein lebt, lesen Sie in der Kolumne.
Seit April stand das Redaktionsschwein im Stall der Nebenerwerbslandwirte Birte und Thomas Brüns in Klein Sehlingen. In dieser Zeit ist es vom 25-Kilo-Normferkel zum 130-Kilo-Schlachtschwein herangewachsen - in einer Gruppe mit insgesamt sieben Schweinen, in einem großen Stall, mit viel Freilauf, Licht und frischer Luft. Halbwegs tiergerechte Bedingungen also, nicht zu vergleichen mit den Verhältnissen, unter denen der überwiegende Teil der mehr als acht Millionen Schweine in Niedersachsen leben muss.
Nachbar hat mehr als 1700 Schweine
Wobei Massentierhaltung nicht gleich Massentierhaltung ist - wie das Beispiel von Wolfgang Ritz zeigt. Der Nachbar von Thomas Brüns hat mehr als 1700 Schweine. Den Begriff Massentierhaltung hört er nicht gerne. "Wo fängt Masse an, wo hört sie auf? Die Frage ist doch: Spürt das einzelne Schwein, ob es in der Masse von Hunderten Artgenossen lebt, wenn es doch nur seine vielleicht zehn Artgenossen in der Bucht zu Gesicht bekommt?" Im Gegensatz zu anderen konventionellen Ställen hat Ritz nur in Randbereichen die in Verruf geratenen Spaltböden zum Abfluss der Fäkalien. Sein Stall ist auch nicht temperiert und von der Außenwelt hermetisch abgeschlossen, sondern halb offen: "Meine Schweine sehen noch die Sonne."
Das ist lange nicht überall so. Tierschützer weisen zu Recht auf Missstände bei der Schweinehaltung hin. Inzwischen beginnt aber auch die Politik umzudenken. Im Sommer hat Niedersachsens Landwirtschaftsminister Gert Lindemann (CDU) den "Tierschutzplan Niedersachsen" vorgestellt. Die Haltungsbedingungen sollen den Tieren angepasst werden und nicht die Tiere der industriellen Fleischproduktion, sagt Lindemann. Er will die schmerzhafte Kastration sowie das Abschneiden der Schwänze als Mittel gegen den Kanibalismus im Schweinestall verbieten - allerdings erst ab 2015/2016. Wobei die Tortur eigentlich längst verboten ist und nur noch in Ausnahmefällen angewandt werden darf. Doch die Ausnahme ist längst zur Regel geworden.
Nicht überall stößt Lindemann mit seinen Plänen auf Beifall. So meckert zum Beispiel die Landvolk-Lobby: "Während bei den Verbrauchern die Angst um das Tierwohl, die Umwelt und die Lebensmittelsicherheit geschürt wird, herrscht auf den Betrieben Existenzangst." 250 empörte Bauern empfingen Lindemanns Staatssekretär Friedrich-Otto Ripke in der vergangenen Woche bei einer Landvolktagung in Bispingen (Heidekreis) zum Thema Tierhaltung und Tierschutz in schwarzen Anzügen und mit Trauerkranz. Sie wollten von ihm wissen: "Warum werden den Schweinehaltern in einer wirtschaftlich angespannten Zeit zusätzliche Auflagen aufgebrummt?"
Die Schweinehalter haben es in der Tat nicht leicht. Die Futterkosten sind gestiegen, neue Auflagen bei der Haltung erfordern hohe Investitionen, und wenn es um die Vermarktung ihrer Schweine geht, steht ihnen ein Monopol von Großschlachtern gegenüber. Die bestimmen den Preis, der nach Ansicht der Schweinezüchter schon lange nicht mehr auskömmlich ist.
In Deutschland werden Schlachtschweine überwiegend nach Teilstücken bezahlt. Der Wert zum Beispiel von Schinken oder Bauch wird auf Grundlage sogenannter Handelswertmodelle ermittelt. Das geschieht automatisch durch eine Apparatur mit mehr als einem Dutzend Ultraschallsensoren. Sie tasten das Fleisch ab und legen mithilfe eines komplizierten Punktesystems den Preis fest, den der Schweinezüchter erhält. Dabei kommt es auf jedes Gramm an. Als Großschlachter Tönnies, mit mehr als 14 Millionen geschlachteter Schweine pro Jahr Marktführer, am Freitag vergangener Woche sein neues Berechnungsmodell vorstellte, gab es Ärger mit den Lieferanten.
Harsche Kritik sei an der Bezahlung des Schinkens geübt worden, berichtet das Landwirtschaftsmaganzin "top agrar" in seiner Online-Ausgabe. "Während ein 20 Kilogramm schwerer Schinken gut 84 Euro erlöst, bekommt der Mäster für einen Schinken mit 20,01 kg Gewicht nur 75 Euro. Zehn Gramm zu viel Gewicht werden also mit satten neun Euro abgestraft!" Wenn der Schlachter die angemeldeten Tiere nur einen Tag später abhole, mache er auf Kosten der Schweinemäster satt Kasse. "Das ist Diebstahl, so darf man nicht mit Bauern umgehen", habe sich der Geschäftsführer einer Viehvermarktungs-Genossenschaft empört, heißt es bei "top agrar".
Selbst wenn sich die Viehvermarkter und Schlachter auf einen Wochenpreis für Schweinefleisch geeinigt haben: "Sobald der Kilopreis über die Marke von 1,60 Euro zu kommen droht, gilt der vereinbarte Preis plötzlich nicht mehr", sagen Branchenkenner. Die Schlachter kaufen dann nur noch zu einem niedrigeren "Hauspreis".
Der Preisdruck treibt die Schweinezüchter zur Expansion, sie bauen ganze Landstriche mit neuen Ställen zu. Dagegen regt sich zunehmend Protest - auch von Tierschützern, aber meistens von Anwohnern, die um ihre Gesundheit und die Qualität ihres Wohnumfeldes fürchten.
Als eine der ersten niedersächsischen Kommunen hat Meppen die Bauleitplanung genutzt, um die Tierhaltung zu begrenzen. Ein Bauer wehrte sich und beantragte ein Normenkontrollverfahren. Doch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg hat den Antrag in der vergangenen Woche abgewiesen und die Rechtsauffassung der Stadt bestätigt. "Das Urteil ist richtungsweisend", sagt Bürgermeister Jan Erik Bohling, der jetzt an den Bundestag appelliert, "durch eine Änderung des Baugesetzbuches die Rechte der Massentierhaltung weiter zu begrenzen."
Der Deutsche Tierschutzbund will indes spätestens Ende des Jahres mit einem Fleisch-Gütesiegel auf den Markt kommen. Beim Tierwohl-Label sitzen Wissenschaftler, Nutztierhalter, die Schlachtbranche und der Lebensmittelhandel mit Tierschützern an einem Tisch. Als Partner hat Tierschutzpräsident Wolfgang Apel den Lebensmitteleinzelhändler coop Kiel und als Schlachtunternehmen die Vion Food-Group gewonnen, die unter anderem in Zeven schlachtet.
Wer für seine Produkte ein Gütesiegel haben will, muss bei der Tierhaltung Bedingungen erfüllen, deren Standards weit über den gesetzlichen Bestimmungen liegen. Dazu gehört, den Tieren mehr Platz und Beschäftigungsmöglichkeiten zu geben sowie das Verbot des Schwanzkupierens oder des betäubungslosen Kastrierens der Ferkel. Hinzu kommen mehr Auslauf und Freilandhaltung sowie Stroheinstreu.
Fleisch aus artgerechter Haltung
"Mit dem Gütesiegel kommt die artgerechte Haltung einen großen Schritt voran", sagt Tierschutzpräsident Apel. "Der Verbraucher hat es selbst in der Hand, hier etwas zu ändern, er muss nur seinen Fleischkonsum reduzieren und darauf achten, dass das Fleisch aus artgerechter Tierhaltung stammt." Eine Studie der Universität Göttingen belege, dass etwa 20 Prozent der deutschen Bevölkerung bereit seien, für Fleisch aus artgerechter Haltung mehr Geld zu zahlen, sagt Apel. Ernährungswissenschaftler empfehlen schon seit Langem, weniger, dafür aber besseres Fleisch von Tieren aus artgerechter Haltung zu essen. Unterm Strich wäre das kaum teurer.
Die Konsumentenbefragung ist das eine, die tägliche Praxis das andere. Für die meisten Kunden zählt auch beim Fleischeinkauf nur der Preis. Das wissen die Discounter natürlich. 70 Prozent des Fleisches geht nach Angaben von Branchenkennern als Sonderangebot über die Theke - Schnitzel und Koteletts werden verramscht, um Kunden in den Supermarkt zu locken. Das haben die Schweine nicht verdient.