Ganz hinten im Koalitionsvertrag von SPD und CDU in Niedersachsen auf Seite 124 steht versteckt in Zeile 3188 ein Satz, der es erst auf den zweiten Blick in sich hat: „Die Mindestgröße der Fraktionen in den kommunalen Vertretungen soll im Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetz auf drei festgesetzt werden.“ Grüne und FDP sehen in dem Vorstoß der Großen Koalition einen „Angriff auf die Demokratie“, weil kleine Parteien in den Gemeinden damit an Einfluss verlieren. SPD und CDU hingegen wollen damit die „Demokratie stärken“, indem sie Entscheidungsprozesse verschlanken.
SPD und CDU seien nicht gut beraten, die Minderheitenrechte in den Kommunalparlamenten zu beschneiden, meint der kommunalpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Landtag, Belit Onay. „Das ist ein Verlust an Demokratie.“ Er habe sich gewundert, „dass die SPD da mitmacht“. Die Grünen kündigen eine parlamentarische Anfrage zum Thema an, aber sie wissen auch, dass sie als kleine Oppositionspartei im Landtag wenig gegen eine übermächtige Große Koalition ausrichten können. Deshalb meint Onay: „Der eigentliche Aufschrei muss aus den Kommunen kommen.“
Innenpolitischer FDP-Sprecher: „Anschlag auf die Demokratie“
Die Fraktion der Linken im Landkreis Osterholz ist bereits alarmiert. Der Vorsitzende Mizgin Ciftci spricht von einer „widerlichen Taktik, die Opposition zu schwächen“. Die Neuregelung hätte weitreichende Folgen. „Das ist ein massiver Angriff auf die Demokratie und alle kleinen Fraktionen in den Kommunen.“ Der Versuch, die Opposition mit Gesetzestricks klein zu halten, ersetze nicht die politische Auseinandersetzung, betont der Linken-Politiker.
Tatsächlich hat es die geplante Gesetzesänderung in sich. Wenn künftig nicht nur zwei, sondern drei Personen die Mindestgröße für eine Fraktion in Stadt, Gemeinde oder Landkreis darstellen, verlören kleine Parteien, die nur mit ein oder zwei Kommunalpolitikern vertreten sind, das Stimmrecht in den Ausschüssen. Auch hätten sie kein Auskunftsrecht mehr und könnten keine Akteneinsicht mehr verlangen.
Für den innenpolitischen Sprecher der FDP-Fraktion im Landtag, Jan-Christoph Oetjen aus Sottrum, ist die Novelle denn auch ein „Anschlag auf die Demokratie und ein skandalöses Ausnutzen der Mehrheitsverhältnisse im Landtag zulasten kleinerer Parteien“. Die Liberalen hätten den Regierungsfraktionen ihre Bedenken deutlich mitgeteilt. Oetjen hat dabei auch die vielen kleinen Wählergemeinschaften auf dem Lande im Blick, die in Zukunft nicht mehr gleichberechtigt an der Ratsarbeit teilnehmen könnten.
CDU: „Uns geht es um die Stärkung der kommunalen Ebene“
Der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Fraktion im Landtag, Ulf Thiele, erklärt die Motivation der großen Koalition: „Uns geht es um die Stärkung der kommunalen Ebene.“ Die zunehmende Zersplitterung der kommunalen Vertretungen belaste die Arbeits- und Entscheidungsfähigkeit der kommunalen Gremien. Die Festsetzung der Fraktionsgröße auf mindestens drei Mitglieder soll also dafür sorgen, dass die kleinen Parteien wichtige Beschlüsse nicht länger ausbremsen. CDU und SPD folgten damit einer Diskussion der Kommunalen Spitzenverbände, so Thiele.
Man könnte also meinen, der niedersächsische Städte- und Gemeindebund habe es nicht anders gewollt. Auf Nachfrage erklärt der Sprecher der landesweiten Vertretung von über 400 Kommunen, Thorsten Bullerdiek, jedoch: „Das war für uns bislang gar kein Thema.“ Im Kern geht es für den Städte- und Gemeindebund um die Frage, was am Ende mehr wiegt: Die Stabilisierung der Kommunalparlamente durch schnellere Entscheidungen oder der Erhalt der Meinungsvielfalt. „Wir werden uns frühestens nächstes Jahr dazu positionieren“, erklärt der Sprecher.
Die Debatte über das Gewicht der kleinen Parteien in den kleinen Parlamenten ist also erst am Anfang. Sollte die Große Koalition die Mindestgröße der Fraktionen tatsächlich anheben, würde dies wohl erst nach der nächsten Kommunalwahl 2021 Konsequenzen für die politische Arbeit in den Kommunalen haben. Der Städte- und Gemeindebund geht jedenfalls nicht davon aus, dass sich die Ausschüsse in den Kommunen schon in Kürze neu organisieren müssen.
Der kommunalpolitische Sprecher der SPD-Frakton im Landtag, Bernd Lynack, beruhigt die Kritiker. Es gehe darum, einer „Zerklüftung“ der Räte und Kreistage entgegenzuwirken. Selbstverständlich werde die geplante Neuregelung mit den kommunalen Spitzenverbänden erörtert, bevor darüber abgestimmt werde.