Der erste Interessent meldete sich bereits während der laufenden Videokonferenz. „Wir in Emden mache gerne den Piloten, müssen auch nicht die ganzen 70 Millionen Euro für uns sein“, chattete Oberbürgermeister Tim Kruithoff (parteilos) mit einen Zwinker-Smiley an seine Kollegen vom Niedersächsischen Städtetag (NST). Die werteten das Angebot zur Vorreiterrolle der Hafenstadt als eine Art Galgenhumor. Denn ihre Innenstädte leiden nach eigener Schilderung unter Leerständen, Verfall und monotonen Straßenbildern. „Wer da durchgeht, der kann nur weinen und heulen“, klagte NST-Präsident Ulrich Mädge, der SPD-Oberbürgermeister von Lüneburg. Die Corona-Krise verschlimmere diese Lage.
Ein im ersten Schritt mindestens 70 Millionen Euro schweres Sofortprogramm des Landes soll den Niedergang und das Ladensterben stoppen, forderte der Verband am Dienstag von den zugeschalteten Ministern für Wirtschaft und für Bau, Bernd Althusmann (CDU) und Olaf Lies (SPD). Die beiden Regierungsmitglieder signalisierten angesichts der ernsten Lage des Einzelhandels ihre Unterstützung, ohne sich allerdings auf konkrete Maßnahmen oder Summen festlegen zu lassen.
Die 70-Millionen-Spritze soll nach dem Willen des Städtetages unter anderem in einen Fonds für „innenstadtstärkende Interventionen“ fließen. Kommunen könnten damit gezielt leer stehende Ladenlokale bis zu einer Größe von 300 Quadratmetern in zentralen Lagen erwerben oder anmieten und diese dann günstig an neue Nutzer weitervermieten. Für marode Großimmobilien wie Kaufhäuser solle aus dem Topf die Suche nach städtebaulichen Lösungen finanziert werden, heißt es in dem Positionspapier des Städtetages. Auch professionelle „Kümmerer“, externe Zentrumsmanager, will Ulrich Mädge mit dem Geld anheuern. Größere Städte sollen für ihre Planungen zudem Vermittler zwischen den Akteuren wie Eigentümern, Händlern und Bewohnern einstellen dürfen.
Vorbild aus den Niederlanden
Zum Acht-Punkte-Programm des Verbandes gehören ebenfalls gelockerte Lärmvorschriften, die sich mehr an der tatsächlichen Nutzung orientieren müssten. „Lebendige Innenstädte leben von vielfältigem Angebot, insbesondere publikumsintensiven Betrieben, Außengastronomie, Kultur und flexiblen Öffnungszeiten.“ Wenn dort keine Wohnungen vorhanden oder die Büros längst geschlossen seien, brauche man dort auch nicht die strengen Grenzwerte in der Nacht. Nach dem Vorbild der niederländischen Stadt Utrecht will der Lüneburger OB die Lieferverkehre entzerren. Die Paketdienste der Online-Händler müssten dann ihre Waren an Depots außerhalb der Zentren abgeben, von dort aus würden sie dann „auf der letzten Meile“ per Lastenrad oder E-Kleintransporter umweltfreundlich an die Endkunden ausgeliefert. Finanziert werden könnte dies durch eine spezielle Abgabe der großen Versandkonzerne, meinte Mädge.
Mit dem Ruf nach erweiterten Ladenöffnungszeiten inklusive der Sonntage stieß der Städtetag zumindest beim Wirtschaftsminister Althusmann auf offene Ohren. „Das ist ein wichtiges Marketing-Instrument“, sagte der Ressortchef und kündigte eine Neuauflage des 2020 an den Verwaltungsgerichten gescheiteren Versuchs für mehr Verkaufssonntage an. „Das ist wichtig für ein gesellschaftliches und soziales Miteinander.“ Bau-und Umwelt-Kollege Lies sprach sich für mehr Klimaschutz und grüne Citys aus. „Eine Stadt wird nicht durch Pflasterung, sondern durch Entsiegeln attraktiver.“ Man müsse jetzt die Krise für Investitionen nutzen, um für die Nach-Corona-Zeit gerüstet zu sein.
Wie viel Geld für welche Kommunen die Landesregierung locker machen will und kann, verrieten die beiden Minister allerdings nicht. Immerhin winken Niedersachsen 50 Millionen Euro aus einem Städte-Hilfsprogramm, das Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) angekündigt hat. Es sei noch zu früh, genaue Größenordnungen zu nennen, betonte Althusmann. Es sei aber klar, dass man sich hier „im zweistelligen Millionenbereich“ bewege.
Projektbezogene Förderung
Eine pauschale Mittelzuweisung lehnte NST-Präsident Mädge ab. „Wir wollen keine Gießkanne, sondern eine projektbezogene Förderung.“ Das sah Bauminister Lies ähnlich. „Wir brauchen mehrere Blöcke“, betonte Lies mit Blick auf unterschiedliche Töpfe. Es sei schwierig, ein passgenaues Programm für alle Städte gleichzeitig zu entwickeln. Schon vor drei Wochen hatte sich der Bauminister mit der Industrie- und Handelskammer Niedersachsen besprochen, die ebenfalls ein umfangreiches Konzept zur Belebung der Innenstädte vorgelegt hatte.
NST-Vizepräsident Frank Klingebiel mahnte denn auch eine besondere Eile bei den Maßnahmen an. „Das darf nicht so lange dauern wie bei den Förderprogrammen für die Schulen, die wir seit November diskutieren“, warnte der CDU-Oberbürgermeister von Salzgitter. „Sorgfalt ja, aber wir müssen das im März auch auf die Spur bringen. Sonst stehen wir vor lauter Trümmerhaufen, weil die Leute ihre Läden nicht mehr aufmachen.“