Manchmal versteht Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) seine eigenen Landsleute nicht mehr. „Das hat wohl mit einer speziellen Wohlstandsmentalität zu tun“, wundert sich der Ressortchef über den massiven Widerstand gegen große und kleine Verkehrsprojekte hierzulande. In Dänemark, berichtet Althusmann, habe es 42 Einwendungen gegen den geplanten Fehmarnbelttunnel gegeben, davon nur zwei gegen das Gesamtvorhaben. In Deutschland seien es dagegen 16.000 gewesen – fast alle negativ. Und während im nördlichen Nachbarland das Parlament bereits endgültig über die 17,6 Kilometer lange Querung entschieden habe, blockierten es acht Klagen von deutscher Seite aus.
Auch vor der Haustür sehe es nicht besser aus, beklagt der Verkehrsminister und zählt eine ganze Reihe umstrittener Projekte auf: von Ortumgehungen wie in Celle oder Wunstorf bis hin zu den Autobahnen A 20 und A 39. „Nahezu kein größeres Straßenbauvorhaben ist ohne langwierige Klageverfahren und entsprechende Verzögerungen umsetzbar.“ Mit einem ganzen Bündel von Rezepten will der Minister den Bau von Straßen, aber ausdrücklich auch von Radwegen beschleunigen und dadurch die oft übliche 20-jährige Zeitschiene zwischen erster Planung bis zur Freigabe für den Verkehr erheblich verkürzen. Das soll dann auch für einen effektiven Einsatz der vom Bund locker gemachten Mittel für den Straßenbau sorgen.
850 Millionen Euro sollen in diesem Jahr nach Niedersachsen fließen, 2020 sind sogar 940 Millionen Euro vorgesehen. Ein Teil seines Pakets kann Althusmann mit Hilfe der SPD/CDU-Koalition auf Landesebene umsetzen; bei vielen anderen Punkten handelt es sich allerdings um Forderungen oder Wünsche an Berlin und Brüssel. Angestoßen ist bereits die Novelle des niedersächsischen Straßengesetzes; das rot-schwarze Kabinett hat den Entwurf aus dem Wirtschaftsministerium vor wenigen Tagen gebilligt. Dieser sieht neben neuen Flächen an Landes- und Kommunalstraßen für Carsharing-Anbieter vor allem vereinfachte Planverfahren vor.
So soll beim Bau von Ortsumgehungen auf die Bestimmung einer Linienführung verzichtet werden. Bei diesem Planschritt werden bislang Anfangs- und Endpunkt sowie der grundsätzliche Verlauf der Trasse festgelegt – Dinge, die beim Ersatz für eine durch ein Dorf führende Landesstraße ohnehin feststehen. Bei einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) können die Behörden künftige auf eine förmliche Erörterung verzichten. „Personen, die Einwände haben könnten, werden direkt kontaktiert“, erklärt eine Ministeriumssprecherin. „Das bringt einen Zeitgewinn.“
Kernstück der Novelle sind aber die Radwege. „Erklärtes Ziel des Landes Niedersachsen ist es, ‚Fahrradland Nummer Eins‘ zu werden“, lautet gleich der erste Satz der Gesetzesbegründung. Vom gesellschaftlichen „Wandel bezüglich der bevorzugten Mobilitätsformen im Alltagsverkehr“ ist dann die Rede, von „Reisezeitgewinnen durch den Ausbau der Radinfrastruktur“. So sollen „selbstständige Radwege“, die nicht Teil einer Straße sind und bislang ein rechtliches Schattendasein führen, künftig wie echte Landes-, Kreis- oder Gemeindestraßen behandelt werden – mit eigenen Planfeststellungsverfahren und Kooperationen der Vorhabenträger bis hin zu der Möglichkeit, Grundstücke für die vorgesehene Trasse notfalls auch zu enteignen.
Die Landesregierung erhofft sich von der Umwidmung zu Straßen eine Vereinfachung der Planung und eine Verkürzung der Bauzeiten. Dies gilt allerdings nur für Radtrassen, die der „zügigen Abwicklung größerer Radverkehrsmengen im Alltagsradverkehr dienen“. Nicht also für Radwege, die überwiegend für den Tourismus oder der Naherholung bestimmt sind. Lob für dieses Vorhaben kommt nicht nur von den Kommunalen Spitzenverbänden, sondern sogar von den oppositionellen Grünen. „Das sind endlich Instrumente, mit denen man den Flickenteppich im Radwegenetz beenden kann“, freut sich der Grünen-Abgeordnete Detlev Schulz-Hendel. Gleichzeitig kritisiert der Verkehrsexperte dagegen die Einschnitte bei der Beteiligung der Öffentlichkeit und betroffener Bürger als falsch und kontraproduktiv. „Wer hier glaubt, sparen zu können, bezahlt am Ende doppelt und dreifach – nämlich durch mehr Klagen, die viel Zeit und Geld kosten.“
Bonus- und Malusregeln
Für Althusmann ist das neue Landesgesetz nur ein wichtiger Baustein. „Als exportorientierter Wirtschaftsstandort mit zahlreichen Häfen und als Transitland im Herzen Europas mit hohen Transportaufkommen ist Niedersachsen auf eine leistungsfähige Straßeninfrastruktur angewiesen.“ In seinem Ministerium hat er einen neuen Posten geschaffen, der sich vorrangig mit Planungsbeschleunigung befassen soll. Auch die Landesstraßenbehörde soll zusätzliche Mitarbeiter für die schnellere Abwicklung von Projekten bekommen. Mit Bonus- und Malusregeln will der Ressortchef Baufirmen Beine machen: Unternehmen, die vor der vereinbarten Zeit fertig werden, kassieren eine „Beschleunigungsvergütung“. Firmen, die hinterher hinken, müssen eine Vertragsstrafe blechen.
Erste Vereinbarungen dieser Art sind laut Ministerium bereits für niedersächsische Autobahnbaustellen abgeschlossen. Dort auf der A 1, A 2 und A 7 solle möglichst rund um die Uhr gearbeitet werden, fordert Althusmann, weiß aber, dass angesichts des Baubooms in der Republik nicht überall die notwendigen Kapazitäten für die 24-Stunden-Baustellen bereitstünden. Ran will der Ressortchef ebenfalls an den Rechtsschutz. So müsse man das Verbandsklagerecht auf die Verletzung von Vorschriften beschränken, die allein dem Umweltschutz dienten. Außerdem verlangt Althusmann die Einführung einer „materiellen Präklusion“. Einwände gegen ein Großvorhaben dürften nicht mehr vor Gericht vorgetragen werden, wenn diese vorher im Anhörungsverfahren versäumt wurden. Dann könne man nicht mehr plötzlich eine angeblich bedrohte Frosch-Art aus dem Hut zaubern und den Bau einer Straße um mehrere Jahre weiter hinauszögern, meint der Minister mit Blick auf die Bundesstraße 3 bei Celle, wo insbesondere Fledermäuse die Fertigstellung der Ortsumgehung blockieren.
Analog zu Autobahnen will der Minister zudem Instanzenzug bei Landes, Kreis- und Gemeindestraßen abkürzen. Derzeit sind dort Klage vor dem Verwaltungsgericht, Berufung beim Oberverwaltungsgericht (OVG) und unter bestimmen Voraussetzungen Revision beim Bundesverwaltungsgericht möglich. Gegen Bundesprojekte müssen Kläger dagegen sofort vor das OVG ziehen und können dann unter Umständen Revision einlegen.
Für seine juristischen Vorstöße braucht Althusmann allerdings den Bund, um die entsprechenden Gesetze zu ändern. Bei den umweltrechtlichen Vorschriften ist zudem eine Änderung der von 47 Staaten unterzeichneten Aarhus-Konvention auf europäischer Ebene erforderlich.