Herr Hennies, es gibt demnächst einen grünen Bundeslandwirtschaftsminister. Haben Sie sich von dem Schreck schon erholt?
Holger Hennies: Einen Schreck habe ich nicht bekommen. Das kam ja nicht völlig überraschend. Man hat bei den anderen Parteien im Vorfeld gemerkt, dass sie sich nicht um das Landwirtschaftsministerium gerissen haben. Es war eher die Frage: Wer will es haben? Und da war bei den Grünen etwas mehr Herzblut zu spüren, was grundsätzlich ja schon mal gut ist.
Dass es Cem Özdemir und nicht Anton Hofreiter geworden ist, hat vermutlich auch nicht geschadet.
Sagen wir so: Wir sind nicht böse über diese Personalentscheidung.
Fakt ist, dass in den letzten 15 Jahren immer die CDU oder die CSU den Landwirtschaftsminister gestellt hat. Überhaupt waren seit Gründung der Bundesrepublik elf der 16 Minister von der CDU oder CSU. Das ist eine Zäsur.
Ich glaube, dass diese strenge Bindung der Landwirtschaft an eine Partei nicht mehr zeitgemäß ist. Da müssen wir, auch als Verband, offen sein, und das sind wir, das zeigt das Wahlergebnis. Und ein Wechsel kann einem Ministerium ja auch guttun.
Vor acht Jahren haben noch 74 Prozent der Landwirte die CDU oder die CSU gewählt, diesmal waren es nur noch 45 Prozent. Was ist da passiert?
Viele Landwirte waren zuletzt mit Entscheidungen der Politik nicht einverstanden. In den letzten vier Jahren gab es eine große Unzufriedenheit mit einer Landwirtschaftsministerin…
Julia Klöckner von der CDU…
…die in der öffentlichen Wahrnehmung sehr der Landwirtschaft zugerechnet wurde, in den Ergebnissen aber mehr Schaden angerichtet hat als ihre Vorgänger. Es wurden handwerkliche Fehler gemacht, etwa bei der Düngeverordnung oder dem Insektenschutzgesetz. Das war für viele Landwirte schon vor zwei Jahren der Impuls, um auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren, oder jetzt, anders zu wählen.
Ein Agrarexperte ist Cem Özdemir nicht.
Aber Herr Özdemir ist pragmatisch, und ich glaube nicht, dass er sich überschätzt. Und fachlichen Input geben gern wir Landwirte.
Cem Özdemir ist Vegetarier.
(lacht) Veganer wäre schwieriger. Manche Veganer lehnen Tierhaltung per se ab, dann hätten wir ein Grundsatzproblem. Wenn jemand beschließt, vegetarisch zu leben, ist das eine persönliche Entscheidung, die es zu respektieren gilt. Ich gehe davon aus, dass Herr Özdemir zu sehr Profi ist, um sich davon in seinen politischen Entscheidungen beeinflussen zu lassen.
Wie wichtig ist es, dass er ein Realo ist und politisch zu den Schwergewichten zählt?
Wir sind optimistisch, dass wir gut mit ihm reden können und er sich stets alle Seiten anhört und nicht nach Gefühls- oder allgemeiner Stimmungslage im Land entscheidet.
Umwelt- und Agrarministerium in Berlin werden grüne Ressorts. Wie finden Sie das?
Nach den Erfahrungen und Streitereien der letzten vier Jahre mit einer SPD-Umweltministerin und einer CDU-Landwirtschaftsministerin sage ich: Es kann nur besser werden.
Steffi Lemke soll das Umweltministerium führen. Sie wird dem linken Flügel zugerechnet. Was bedeutet das für die Landwirte?
Wir haben noch nichts Negatives über sie gehört. Sie ist Agraringenieurin, hat also ein solides landwirtschaftliches Grundwissen. Das ist hilfreich und gut.
Wie grün wird die Landwirtschaftspolitik in Zukunft sein?
Wenn ich mir den Koalitionsvertrag angucke, stelle ich fest: Es steckt relativ viel Grün drin, auch ein gutes Stück FDP.
Die SPD?
Die SPD habe ich nicht ganz so stark wahrgenommen. Außer beim Mindestlohn, da merken wir die Handschrift der SPD sehr stark, und das wird für viele Landwirte bitter werden.
Wegen der Helfer zu Erntezeiten?
Gerade im Obst- und Gemüsebau, ja. Im Obstbau liegt Deutschland bei 22 Prozent Selbstversorgung, und diese Quote wird noch einmal nach unten gehen, weil wir innereuropäisch Wettbewerbsnachteile haben. Entweder stellen unsere Betriebe ihre Arbeit dann ein oder auf Technik um.
Zurzeit werden zehn Prozent der landwirtschaftlichen Fläche ökologisch bewirtschaftet. Ziel der Ampelkoalition sind 30 Prozent. Das klingt nach dem richtigen Zeitpunkt, um jetzt von konventionell auf Bio umzustellen.
Wenn ein Betrieb so flexibel und nicht durch langfristige Investitionen gebunden ist, wenn es persönlich passt – ein 60-Jähriger fängt nicht mehr mit Ökolandbau an –, und wenn es eine Marktchance gibt – warum nicht? Aber es muss diese Marktchance geben. Wir werden es nicht schaffen, den Ökolandbau gegen den Markt zu subventionieren. Das geht nicht mit der Brechstange. Man darf auch nicht vergessen, dass die Erträge im Ökolandbau nicht so hoch sind wie in der konventionellen Landwirtschaft. Das heißt, dass wir 15 Prozent weniger Lebensmittel erzeugen würden. Wollen wir die importieren?
Das 30-Prozent-Ziel…
… halte ich für sehr ambitioniert. Aber wenn es passt: gut. Ein gewisser Anteil an Ökolandbau ist ja auch gut für die Artenvielfalt.
Eine andere Perspektive für die Landwirte könnte sein, noch stärker auf erneuerbare Energien zu setzen, sprich Windräder, Biogasanlagen und Fotovoltaikanlagen zu bauen. Was halten Sie davon?
Das wird kommen, und das kann eine Alternative für Landwirte sein. Wir fordern aber, dass der Ausbau der Fotovoltaik vorwiegend auf den kohlenstoffreichen, den trockenen oder sehr ertragsschwachen Böden stattfindet. Wir müssen die aktuelle Drückerkolonnenmentalität, die sich gerade auf die hochwertigen Ackerböden konzentriert, eingrenzen. Die produktiven Flächen brauchen für den Erhalt der Betriebe, aber auch zur Erreichung der Klimaneutralitätsziele. Landwirtschaftliche Nutzfläche ist durch nichts zu ersetzen.
Und bei Windrädern?
Windenergie sehen wir weniger kritisch, weil sie wenig Fläche beansprucht. Ich bin selbst Mitglied einer Bürgerwindgesellschaft, die ein Windrad betreibt und nun noch ein weiteres baut.
Wie schnell ging das?
Es hat fast vier Jahre bis zur Genehmigung gedauert. Das muss schneller gehen. Das fehlende Tempo ist ein Investitionshindernis, die Bürokratie zermürbend.
Gibt es etwas, das Ihnen im Koalitionsvertrag besonders gut gefällt?
Da wir unsere Weidetiere zurzeit nicht geschützt bekommen, freuen wir uns sehr, dass ein regionales Wolfsmanagement vorgesehen ist. Gerade für uns in Niedersachsen ist es gut, dass wir damit nicht warten müssen, bis ganz Deutschland mit Wölfen besiedelt ist, sondern dass wir schneller handeln können.
Und darüber hinaus?
Im Naturschutzbereich ist einiges dabei, von dem ich sage: Da hat sich jemand Gedanken gemacht. Zum Beispiel bei der Umsetzung des Europäischen Rechts im Naturschutz eins-zu-eins. Was darüber hinaus von uns geleistet werden soll, wird den Landwirten bezahlt. Auch beim Moor- und Klimaschutz heißt es, dass dafür ausreichend Geld zur Verfügung gestellt wird. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, denn das wird mindestens so viel Geld wie der Kohleausstieg kosten. Und es wird nicht so leicht, das zu kommunizieren. Gerade nördlich von Bremen sind viele Moorgebiete von Menschen besiedelt. Die wollen demnächst natürlich nicht absaufen. Diese Leute muss die Politik mitnehmen. Dafür muss sie ehrlich sein.
Wie gefallen Ihnen die Pläne zur Tierhaltung?
Da gibt die Ampelkoalition ein klares Bekenntnis zur Herkunfts- und Haltungskennzeichnung, das ist gut. Schlecht ist: Es steht nicht im Vertrag, woher das Geld dafür kommen soll. Dabei ist dieser Punkt gerade für uns in Niedersachsen mit viel Tierhaltung sehr relevant.
Wie sieht es mit dem Pflanzenschutz aus?
Dieser Teil des Vertrages liegt uns schwer im Magen. Dass reduziert werden muss, kann ich verstehen. Und diese Bemühungen gibt es ja auch schon. Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln geht runter, die Betriebe schauen nach Alternativen. Was ein großes Thema wird, ist das angekündigte Pflanzenschutzmittelverbot in Wasserschutzgebieten. Dort haben wir in Niedersachsen viele Ackerflächen, sehr ertragreich, gerade im Kartoffelanbau. Wenn hier Erträge wegbrechen, kann das für bestimmte Regionen zu einer existenziellen Bedrohung werden.
Seit wann sind Sie Landwirt?
Seit 1998.
Wie würden Sie die aktuelle Befindlichkeit der Bauern einordnen?
Wir hatten von 2002 bis 2005 schon einmal eine eher depressive Phase…
… Renate Künast von den Grünen war zu der Zeit Landwirtschaftsministerin…
…in der Zeit hatten wir Landwirte das Gefühl, dass alles, was wir gemacht haben, schlecht war. Das war zuletzt auch wieder so. Dazu kommen seit Längerem schlechte Marktpreise. Die Rinderhalter und Milcherzeuger haben drei schlechte Jahre hinter sich. Sie sehen jetzt aber immerhin wieder einen Silberstreif am Horizont. Die Schweinehalter dagegen sehen vor sich nur noch den Abgrund. Viele hören auf.
Wie gut kann man als Landwirt heute noch von dem Beruf leben?
Die Gewinne der Betriebe sind seit Jahren deutlich rückläufig. Wir liegen da bei etwa 54.000 Euro im Durchschnitt pro Jahr. Und Gewinn meint in dem Fall nicht, dass es das verfügbare Einkommen ist. Davon geht als Selbstständiger noch der doppelte Arbeitnehmerbeitrag weg. Die Nettoinvestitionen und das Altenteil müssen aus dem Gewinn gezahlt werden. Da bleiben für eine vierköpfige Familie vielleicht 30.000 Euro oder weniger übrig. Da kommen Sie in den Bereich von Sozialhilfeniveau.
Auch deshalb haben Landwirte vor zwei Jahren auf den Straßen demonstriert. Ist die Botschaft angekommen?
Bei der Bevölkerung ja, bei der Politik eher nein. Die Menschen haben angefangen, nachzufragen: Warum demonstriert ihr? Die Politik will doch nur das Beste für alle, haben viele gedacht. Aber wenn sich 30.000 Bauern auf den Weg nach Berlin machen, muss da etwas nicht stimmen, das haben viele Menschen mittlerweile erkannt, auch Natur- und Umweltschützer. Sie merken, dass man die Schrauben nicht unendlich weit anziehen kann.