Zeit ist relativ: Was den einen zu lange dauert, geht den anderen zu schnell. Das Deutschlandticket ist dafür ein gutes Beispiel. Vom 1. Mai an wird der neue Tarif, sofern nichts mehr dazwischenkommt, gültig sein. Erst im Mai, sagen Kunden, die bereits seit dem letzten Gültigkeitstag des Neun-Euro-Tickets im vergangenen August auf den Nachfolger warten. Warum dauert das denn so lange?
Für die Verkehrsunternehmen heißt es eher: schon im Mai. Zwei Monate vor der Einführung sind immer noch Fragen offen, von denen einige öffentlich kontrovers diskutiert werden – andere wiederum sind nicht weniger wichtig, spielen aber bislang kaum eine Rolle. Die Fahrgäste interessiert verständlicherweise das, was sie unmittelbar betrifft. Sie wollen ihr Fahrrad mitnehmen und das Ticket auch in Papierform oder als Chipkarte kaufen können. Sie fragen sich, für welche Gruppen es möglicherweise doch noch einen Rabatt geben wird.
Was für den Einzelnen eine Frage (oder ein Wunsch) ist, ist für die Verkehrsunternehmen in Summe ein aufwendiger Prozess. Die Chipkarten, sofern sie überhaupt kommen, müssen in großen Stückzahlen beschafft werden – der Markt gibt allerdings nicht viel her. An anderer Stelle können die Verkehrsunternehmen ohnehin nur reagieren. Ende Januar haben sich Bund und Länder auf eine Regelung für Jobtickets geeinigt. Wenn die Arbeitgeber einen Abschlag von mindestens 25 Prozent gewähren, geben Bund und Länder einen weiteren Abschlag von fünf Prozent dazu. Das ist eine gute Lösung, die auch deshalb überrascht, weil sie immerhin drei Monate vor dem 1. Mai zustande gekommen ist.
Wie es auch hätte laufen können, zeigt die Diskussion über andere Ermäßigungen, die im Chaos versinkt. Wieder werden auf Länderebene die unterschiedlichsten Modelle entworfen und diskutiert, ob und welche Rabatte Schüler, Azubis und Sozialhilfeempfänger erhalten sollen. Bis sich ein Bundesland für ein Modell entscheidet, werden zahlreiche Positionspapiere, Anfragen und Anträge geschrieben und parlamentarische Debatten geführt. Bundesweite Einigkeit braucht noch mehr Zeit, weshalb die acht Monate vom Ende des Neun-Euro-Ticket bis zum Start des 49-Euro-Tickets kaum überraschen.
Von den Verkehrsunternehmen ist zudem zu hören, dass es sich bei dem neuen Deutschlandticket eben nicht um einen Nachfolger des Neun-Euro-Tickets handele. Das ist einerseits falsch, weil es das eine ohne das andere nicht gegeben hätte. Andererseits ist es richtig, weil ein zeitlich beschränktes und ein dauerhaftes Angebot nicht vergleichbar sind – für letzteres braucht es deutlich mehr rechtliche, finanzielle und organisatorische Planungssicherheit.
Die Frage, an der sich Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) als Hauptverantwortlicher messen lassen muss: Gibt es diese Planungssicherheit? Für die Länder und die Verkehrsunternehmen ist die Antwort unbefriedigend. Klar ist ohnehin, dass alles sehr viel schneller gegangen wäre, wenn der Bund mehr Geld bereitgestellt hätte. Aber auch unter den gegebenen Umständen hätte man einige Fragen längst klären müssen.
Vollkommen unverständlich ist, warum die Verkehrsunternehmen beim Ticketverkauf in einen Konkurrenzkampf geschickt werden. Für die Kunden macht es keinen Unterschied, wo sie ihr 49-Euro-Ticket erwerben – für die Verkehrsunternehmen schon. Gerade bei kleineren Anbietern geht die Angst um, dass ehemalige Zeitkarten-Kunden das neue Ticket nicht bei ihnen kaufen, sondern beispielsweise über die DB-App. Damit gingen wichtige Einnahmen verloren. Faktisch sind die Verkehrsbetriebe also nicht nur gezwungen, das neue Deutschlandticket anzubieten, sondern dieses auch konkurrenzfähig zu bewerben.
Hier braucht es dringend eine andere Lösung – beispielsweise eine Abfrage des Wohnorts beim Ticketerwerb und eine entsprechende Verteilung der Einnahmen an die regionalen Verkehrsunternehmen. Zwei Monate haben alle Beteiligten noch Zeit, diese und andere Fragen zu klären. Ob das viel oder wenig ist, kann jeder selbst entscheiden.