Eine App auf Rezept soll es schon ab Januar 2020 geben. So sieht es Jens Spahns Digitales Versorgungsgesetz (DVG) vor. Auf den ersten Blick eine gute Idee des Gesundheitsministeriums. Doch es bleiben viele Fragen offen.
Ärzte sollen künftig ihren Patienten Apps verschreiben können, die Kosten übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen. Unter das Gesetz fallen digitale Gesundheitsanwendungen, so heißen die Apps im Juristendeutsch, die als Medizinprodukte der niedrigen Risikoklassen gelten.
Das können Tagebücher für Diabetiker oder für Menschen mit Bluthochdruck sein, Insulin-Rechner oder auch Apps zur Unterstützung von Psycho- oder Physiotherapie. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) soll die Anwendungen auf Datensicherheit, Datenschutz und Funktionalität prüfen. Dann sollen die Apps von den Krankenkassen ein Jahr lang erstattet werden. Erst danach müssen die Hersteller die Wirksamkeit ihrer Produkte nachweisen.
Das ist bemerkenswert. Es wird eine Leistung erbracht, deren Nutzen erst im Nachhinein nachgewiesen werden muss. Genau hier liegt eines der Probleme des neuen Gesetzes. Bringen die Apps überhaupt den gewünschten Erfolg? Urs-Vito Albrecht vom niedersächsischen Peter L. Reichertz-Institut für Medizinische Informatik hat bereits 2016 im Auftrag der Bundesregierung in einer Studie die Wirksamkeit von Gesundheitsapps untersucht. Zu Spahns neuem Gesetz sagt er: „Wie definiert das BfArM den Nutzen und was akzeptiert es als Nachweis? Genau das ist der wunde Punkt, der nicht definiert wurde.“ Das Fazit des Experten: Vieles sei noch unklar.
Wenn die Patienten den größtmöglichen Nutzen aus der Verwendung der Apps ziehen sollen, müsste zuvor geklärt werden, ob die Anwendung auch tatsächlich hilft. Grundsätzlich ist es natürlich begrüßenswert, wenn chronisch erkrankte Menschen beim Umgang mit ihrem Leiden Hilfe bekommen. Diabetiker können sich etwa Broteinheiten, also das Maß für den Kohlenhydratgehalt eines Lebensmittels, ausrechnen lassen. Gefährlich wird es jedoch, wenn die App eine trügerische Sicherheit vermittelt. Was ist, wenn die Software nach einem Update einen Fehler hat? Oder ein Bedienungsfehler dazu führt, dass der Patient nicht genügend Insulin zu sich nimmt?
Kostenerstattung seitens der Krankenkassen und die Prüfung durch eine Bundesbehörde könnten einigen Menschen zusätzlich das Gefühl vermitteln, die App alleine reiche aus, um einen Überblick über den Gesundheitszustand zu behalten. Die Bereitschaft zu Vorsorgeuntersuchungen könnte dadurch sinken.
Heute nutzt jeder Dritte in Deutschland Apps aus dem Medizinbereich, aber auch Anwendungen wie etwa Fitnesstracker. Vor allem bei den jüngeren Menschen sind die Apps beliebt. Eine effektive Qualitätskontrolle fehlt jedoch bislang. Es gibt viele Siegel, diese entsprechen aber oft unterschiedlichen Prüfkriterien. Das ist für den Verbraucher verwirrend. Er muss sich entweder mit den einzelnen Siegeln auseinandersetzen oder sich durch Impressum und Allgemeine Geschäftsbedingungen der Apps lesen, um nachvollziehen zu können, was mit seinen Daten passiert. Verbraucherfreundlichkeit sieht anders aus.
Eine Prüfung seitens des BfArM könnte Abhilfe schaffen und Orientierung bieten – vorausgesetzt, Sicherheitsmängel werden schnell erkannt und behoben. Hier ist die Behörde gefragt, in den nächsten Monaten eine effektive Qualitätssicherung zu entwerfen. Denn natürlich ist der Datenschutz ein wichtiges Thema, vor allem bei sensiblen Informationen zur Gesundheit. Hersteller müssen dem Bundesinstitut zwar wesentliche Änderungen an ihrem Produkt melden, damit dieses nochmal prüfen kann.
Anwendung bleibt freiwillig
Wie genau diese definiert sind, ist jedoch noch offen. Der Deutsche Ärztetag hat bereits im Mai dieses Jahres die Einführung von digitalen Gesundheitsanwendungen begrüßt – allerdings unter der Voraussetzung, dass die Apps einer „validen Nutzerbewertung“ in einer Testregion unterzogen werden und ihre Anwendung außerdem freiwillig bleibt. Das ist ein richtiger Ansatz. Für viele Menschen gehören Apps zu ihrem Alltag. Es gibt keinen Grund, wieso das im Gesundheitsbereich anders sein sollte.
Wichtig ist, dass die Patienten weiterhin entscheiden können, welche medizinischen Hilfsmittel sie nutzen möchten. Zudem müssen die von den Beitragszahlern der gesetzlichen Krankenkasse finanzierten Anwendungen auch tatsächlich helfen. Dazu wäre eine Testphase angebracht.