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Gastbeitrag über Lobbyismus Auch Minderheitsregierung bietet Einfallstore für Lobbyisten

Lobbyisten müssten sich umstellen, sollte es in Berlin eine Minderheitsregierung geben. Sie würden verstärkt die Abgeordneten ansprechen. Mehr Lobbykontrolle fordert daher Gastautorin Imke Dierßen.
02.12.2017, 20:16 Uhr
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Von Imke Dierßen

Für Deutschland ist es politisches Neuland: Jamaika ist krachend gescheitert. Eine erneute Große Koalition im Bund sehen viele mit Skepsis. Neuwahlen wiederum gelten als Ultima Ratio. Bliebe also noch eine Minderheitsregierung.

Vielleicht läge darin eine Chance für eine lebendigere Demokratie. Gesetze werden hierzulande vor allem in eher kleinen Kreisen ausgearbeitet: Die Koalitionäre entscheiden, die Ministerialbeamten formulieren aus. Mit einer Minderheitsregierung könnte das Par­lament gegenüber der Regierung stärker an Bedeutung gewinnen. Denn es käme wieder mehr auf die Abgeordneten an – sie würden hart um politische Kom­promisslösungen ringen müssen. Das kann die politische Debatte neu beleben – ­unsere Demokratie hätte das dringend nötig!

Dennoch: Lobbyismus findet in Deutschland vor dem Hintergrund struktureller Machtungleichgewichte statt. Tausende Lobbyisten arbeiten daran, Gesetze im Sinne ihrer Auftraggeber zu beeinflussen. Dabei sind finanzkräftige Akteure klar im Vorteil. Sie können ehemalige Politiker und Beamte als Lobbyisten in ihr Unternehmen holen und so einflussreiche Netzwerke aufbauen oder durch Spenden Parteien an sich binden.

Auch die weitgehende, auch nach internationalen Standards inakzeptable Lobbyintransparenz begünstigt diese privilegierten Zugänge in die Politik. Allein die Bildung einer Minderheitsregierung würde an diesen Strukturen nichts ändern.

Lobbyisten werden auch gegenüber einer Minderheitsregierung für ihre Anliegen kämpfen – mit harten Bandagen und hohem Einsatz. Wenn sie dafür nun verstärkt die Parlamentarier ansprechen müssen, dann werden sie auch das tun. Und sie werden auch weiterhin auf Politiker treffen, die eine besondere Nähe zu Industrieinteressen oft nicht kritisch finden.

Auch die Gesetzeslage wirkt an manchen Stellen nicht als Korrektiv. Denn: In Deutschland dürfen Abgeordnete zum Beispiel nebenbei als Lobbyisten arbeiten, und es dürfen Parteien unbegrenzt Geld von Konzernen und Vermögenden annehmen.

Wir brauchen deshalb endlich mehr Lobbykontrolle und Transparenz bei der politischen Interessenvertretung. Immerhin: Durch die Jamaika-Sondierungen ist Bewegung in diese Debatte gekommen. Die Parteien hatten sich bereits zu einem verpflichtenden Lobbyregister bekannt, das aufzeigen würde, wer für welche Interessen im Regierungsviertel unterwegs ist. Wie immer eine neue Bundesregierung aussehen wird – sie darf dahinter nicht mehr zurückfallen.

Unsere Gastautorin:

Imke Dierßen ist politische Geschäftsführerin von Lobby-Control, einem gemeinnützigen Verein, der sich für mehr Demokratie und Transparenz einsetzt. Zuvor war die Politikwissenschaftlerin Abteilungsleiterin bei Amnesty International.

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