Kommt man in Teheran am Flughafen an, stehen nach der Gepäckausgabe riesige Poster mitten im Weg zum Ausgang, damit sie ja nicht übersehen werden. „Islamic Dress Code“, steht mit großen englischen Worten darauf und Bilder, die zeigen, wie sich die Ankommenden zu kleiden haben. Auch Ausländer sind hiervon nicht ausgenommen. Hijab, der alle Haare verdeckende Schleier ist Vorschrift für Frauen, dazu einen langen Mantel, Männer dürfen nicht in kurzen Hosen herumlaufen.
Dass diese islamische Kleidervorschrift schon lange nicht mehr so strikt befolgt wird, wie sie auf dem Poster steht, wird einem schnell klar. Die Schleier in Teheran rutschen immer weiter in den Nacken hinunter, immer mehr Frauen tragen gar keinen mehr. Männer in kurzen Hosen dagegen gibt es nach wie vor kaum in der iranischen Hauptstadt.
Als Mahsa Amini am 13. September Teheran besuchte, trug sie einen weiten Mantel ihrer Mutter, wie ihr Bruder später sagte, und einen Schleier, der in den Nacken gerutscht war. Die Persian, die berüchtigte Sittenpolizei nahm sie fest mit weiteren Frauen, deren Kleidung auch nicht den staatlichen Vorschriften entsprach. Dies ist zuallererst ein Zeichen für die brutale Willkür, die im Staate der Ajatollahs nach wie vor herrscht oder eine erneute Verschärfung der staatlichen Kontrollfunktion.
Das Video, das die festgenommenen Frauen auf der Wache zeigt, verzeichnet einen Schnitt, bevor man sieht, wie die 22-jährige Amini zusammenbricht. Sie fiel ins Koma und starb drei Tage später. Zur Ursache für ihren Tod kursieren im Internet unterschiedliche Angaben: Das Kasra-Krankenhaus in Teheran hatte auf Instagram zunächst mitgeteilt, die Frau sei bereits bei der Einlieferung hirntot gewesen – dieser Post wurde allerdings danach entfernt. Frauen, die gemeinsam mit Mahsa zur Polizeistation gebracht worden waren, berichten von Schlägen der Moralpolizisten. Und ihr Bruder hat nach eigenen Angaben Spuren der Folter auf ihrem Körper gesehen.

Ein Symbol des Widerstands gegen die Mullahs: Mahsa Amini
Warum gerade Amini ums Leben kam, bleibt indes ein Rätsel. Die Frau lebte in der westiranischen Stadt Saqqez. Traditionell sind die Menschen in den Provinzen konservativer als in der „freien Hauptstadt“. Vielleicht wollte sie nur mal ein bisschen durchatmen, den Schleier fallen lassen, wie so viele andere Frauen in Teheran. Die Hauptstadt ist bekannt für ihre Liberalität und dadurch natürlich ein Dorn im Auge der islamischen Hardliner.
Ein weiterer Aspekt über die vermeintliche Misshandlung könnte sein, dass sie Kurdin war. Die ethnische Minderheit im Iran hat in den letzten Wochen auf sich aufmerksam gemacht. Im Nordwesten des Landes kam es zu Aufständen. Viele flohen ins benachbarte irakische Kurdistan. Die iranische Armee griff die Fliehenden aus der Luft an und flog auch über irakisches Hoheitsgebiet, was Bagdad zu Protesten veranlasste. Doch der ethnische Hintergrund ist vage und spielt bei den massenhaften Protesten, die Aminis Tod nun zur Folge hat, keine Rolle.
Denn ihr Tod hat etwas bewirkt, was der gesamten Opposition während der 43 Jahre dauernden Herrschaft der Ayatollahs im Iran nicht gelungen ist: Beinahe das gesamte iranische Volk ist in einem Punkt einig, nur die Regimeanhänger sind gespalten, schreibt Parvin Irani auf Qantara, dem Webportal der Deutschen Welle für den Dialog mit der islamischen Welt, das im Iran verboten ist. Jeden Abend gehen Tausende auf die Straßen – im ganzen Land. Dass dies unter den Augen der Weltöffentlichkeit während der UNO-Vollversammlung in New York geschieht, ist besonders prekär für die Machthaber in Teheran.
Reformisten und Teile der Konservativen innerhalb der Machtzirkel solidarisieren sich inzwischen mit Mahsas Familie. Staatspräsident Ebrahim Raissi hat die Familie angerufen und ihr sein Beileid ausgesprochen. Er versprach laut Mahsas Onkel, den Fall aufzuklären. Allerdings verweigert er die Aufklärung für die Massenhinrichtungen vom Sommer 1988, die er mitzuverantworten hat, bis heute. Auch für die Toten während der Unruhen 2009, 2018 und 2019 gibt es bis heute keine glaubwürdige Untersuchung. Chefreporterin Christiane Amanpour vom US-Fernsehsender CNN jedenfalls sagte das Interview mit Raissi in New York ab, nachdem dieser sie aufforderte, Hijab zu tragen. Gut so.