Es ist ein geschichtsträchtiger Ort, an dem die europäischen Staatenlenker nächsten Donnerstag zusammenkommen. Im Blenheim Palace in der englischen Grafschaft Oxfordshire wurde Winston Churchill, ein Vorkämpfer der europäischen Idee, geboren. Nun findet hier das Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPC) statt. Gastgeber ist der neue britische Premierminister Keir Starmer von der Labourpartei, das prächtige Anwesen soll den Rahmen bilden für das, was viele Beobachter als „Reset“ in den Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU bezeichnen.
Starmer gilt als deutlich proeuropäischer als seine konservativen Vorgänger und die jüngsten Zeichen aus London schüren Hoffnungen in Brüssel.
Der neue Handelsminister Jonathan Reynolds sprach sich etwa für „vernünftige, pragmatische“ Lösungen mit der Gemeinschaft aus. „Wenn wir mehr Whisky und Lachs auf einem für uns so wichtigen Markt verkaufen können, dann sollten wir solche Möglichkeiten ausloten.“ Gibt es nun einen Neustart des durch jahrelange Streitigkeiten ramponierten Verhältnisses zwischen London und Brüssel?
Der SPD-Europaparlamentarier Bernd Lange verspürt zwar „vorsichtigen Optimismus“, aber mit einer Kehrtwende rechnet er nicht, eher mit einem „Wandel“. Man habe das an Heiligabend 2020 vereinbarte Freihandelsabkommen, „auf dem man aufbauen und das man weiterentwickeln kann“.
Lange ist der alte und aller Voraussicht nach auch neue Vorsitzende des mächtigen Handelsausschusses im EU-Parlament und trauert den Dauerdiskussionen, welche Fische nun unter die Vereinbarung fallen, nicht nach.
Obwohl Starmer bereits angekündigt hat, dass Großbritannien weder in den europäischen Binnenmarkt noch in die Zollunion zurückkehren werde, und damit die roten Linien formuliert hat, könnte man zahlreiche Hürden aus dem Weg räumen, sagt Lange. Nutznießer wären Branchen wie der Maschinenbau, der Automobilsektor und die Landwirtschaft. Ob Blumen aus Holland, Käse aus Frankreich, Schweinefleisch aus Deutschland oder Wein aus Italien – seit dem Brexit stöhnen Landwirte und Nahrungsmittelproduzenten auf beiden Seiten des Ärmelkanals über ein Mehr an Bürokratieaufwand und zusätzlichen Kosten.
Sozialdemokrat Lange würde sich wünschen, „dass man für Agrarprodukte einen dynamischen Angleichungsprozess hat und das digital festhält, damit es keine überbordenden Grenzkontrollen mehr gibt“.
Auch bei der Frage der Zollabwicklung gebe es Möglichkeiten der Vereinfachung. Labour-Chef Starmer hatte immer wieder ein mögliches Veterinärabkommen mit der EU ins Spiel gebracht. Hielten sich die Briten etwa an europäische Hygienevorschriften, könnten die Partner weitgehend auf Grenzformalitäten und Kontrollen verzichten, zudem würde es die Schwierigkeiten zwischen Großbritannien und Nordirland reduzieren.
Doch dafür braucht es Verlässlichkeit. „In den letzten Jahren ist viel Vertrauen verloren gegangen, vor allem auf europäischer Seite“, sagt die Politikwissenschaftlerin Sophie Pornschlegel vom Brüsseler „Jacques Delors Institute“. Das müsse nun erst wieder aufgebaut werden.
Klärungsbedarf und vor allem Luft nach oben gibt es in Sachen Mobilität. Nicht nur fordern Unternehmer eine Erleichterung des Aufenthaltsrechts, um kurzfristig Mitarbeiter entsenden zu können. Auch Wissenschaftler auf dem Kontinent wie auf der Insel pochen auf mehr Kooperation. Geht es nach der EU, sollen insbesondere die Möglichkeiten für junge Menschen ausgeweitet werden.
„Ich habe die Hoffnung, dass wir beim Erasmus-Plus-Programm mit Großbritannien wieder ins Boot kommen“, sagt Lange, das heißt größere Freiheiten zum Reisen, Arbeiten und Studieren im Königreich. Während es von Labour hieß, dass man Hürden bei der gegenseitigen Anerkennung beruflicher Qualifikationen oder Visaregeln für Künstler und Musiker in den Fokus rücke, gilt alles, was zu sehr nach Personenfreizügigkeit klingt, im Königreich weiterhin als tabu. Trotzdem, „da ist ein Korridor vorhanden und den sollten wir nutzen“, sagt Lange. Nur die berühmt-berüchtigte „Rosinenpickerei“ vonseiten Londons lehnen sie in Brüssel weiter ab.
Das größte Potenzial zur Wiederannäherung liegt laut Politologin Pornschlegel in der Sicherheitspolitik. Im neuen geopolitischen Kontext gebe es „klare gemeinsame Interessen“. Tatsächlich kündigte die Labour-Regierung bereits an, einen weit gefassten Sicherheitspakt mit der Gemeinschaft schließen zu wollen, der neben Bereichen wie Energie und Klima eine engere Zusammenarbeit im Bereich der Verteidigungsindustrie vorsieht. Pornschlegel sieht zudem großen Kooperationsspielraum in der Frage nach der wirtschaftlichen Sicherheit, weil der Druck aus den USA auf Europa und das Königreich zunehmen werde, „nicht nur bei den Verteidigungsausgaben, sondern auch, was etwa das Thema Transfer von Schlüsseltechnologien nach China angeht“.