Seinen Vornamen korrekt auszusprechen, stellt für französische Zungen eine schwierige akrobatische Übung dar, doch das will man in Paris nicht als Hindernis für die Freundschaft mit dem nächsten deutschen Bundeskanzler sehen. Groß sind die Erwartungen im Nachbarland an Friedrich Merz.
Als positives erstes Indiz gilt, dass auf seinem Schreibtisch bislang ein Schwarzweißfoto stand, das den damaligen Kanzler Konrad Adenauer und den französischen Präsidenten Charles de Gaulle im Jahr 1962 in der Kathedrale von Reims zeigt – die beiden Initiatoren des 1963 unterzeichneten Élysée-Vertrags, der als Grundstein für die deutsch-französische Freundschaft gilt. Merz hat damit die Latte hoch gehängt und zugleich unterstrichen, dass diese Beziehung eine besonders wichtige ist.
Im selben Sinn behält er die Tradition bei, seine erste Auslandsreise als Kanzler am Mittwoch nach Paris zu unternehmen. Dass er unmittelbar danach nach Warschau aufbricht, zeigt wiederum, dass die Bindung gen Westen und die Hinwendung zum Osten kein Widerspruch zueinander, sondern komplementär und notwendig sind. Bald dürfte eine gemeinsame Reise mit europäischen Staats- und Regierungschefs nach Kiew folgen – ein weiteres wichtiges Signal zur Unterstützung des angegriffenen Landes.
Olaf Scholz hat Paris enttäuscht
Auch in den vergangenen Wochen gab es erste Begegnungen zwischen Merz und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Solch enge Kontakte noch vor dem offiziellen Amtsantritt sind in der deutsch-französischen Geschichte selten, vielmehr nahm die Annäherung meist viel Zeit in Anspruch. Zeit, die in der aktuellen Krisenperiode nicht vorhanden ist. Dass nun von Anfang an Nähe aufgebaut wird, nährt in Paris die Hoffnung auf einen Neustart der bilateralen Beziehungen.
Um sie war es zuletzt trotz eines in dieser Hinsicht ambitionierten Koalitionsvertrags 2021, einer engen Abstimmung der jeweiligen Außenminister und häufiger Treffen auf höchster Ebene nicht sehr gut bestellt. Paris war enttäuscht von Ex-Kanzler Olaf Scholz, der bei seiner Europa-Rede an der Karls-Universität in Prag im Sommer 2022 Frankreich nicht ein einziges Mal erwähnte. Mit einer Einladung des Ehepaars Macron zu einem ungezwungenen Seminar nach Hamburg im Oktober 2023 wollte Scholz zwar guten Willen zeigen, in Erinnerung blieben aber vor allem die verzogenen Mienen der französischen Gäste beim Verzehr von Fischbrötchen im Stehen. Die gemeinsame Wellenlinie wurde nicht gefunden.
Nun wächst in Paris nach Monaten, in denen Deutschland auf der Weltbühne weitgehend ausfiel, die Neugierde auf diesen Mann, der aus derselben Partei stammt wie Angela Merkel, welche in Frankreich noch immer hohes Ansehen besitzt – und der doch auf Konfrontationskurs zu ihr ging. Merz wird in einer Tradition mit Helmut Kohl gesehen, der durch seine geografische Herkunft eine natürliche Affinität zu Frankreich hatte.
Europa kann nicht auf Achse Paris-Berlin verzichten
Das bedeutet nicht, dass Auseinandersetzungen ausbleiben, ob beim Streitthema gemeinsamer Schulden innerhalb der Euro-Zone oder bei der der Handelspolitik, drängt doch der deutsche Kanzler auf das EU-Mercosur-Abkommen, das Macron aus innenpolitischem Kalkül ablehnt: Er fürchtet die Wut eines Teils der französischen Bauern.
In anderen Bereichen wie beim Eintreten für ein souveränes Europa könnte es Annäherung geben. Sie wird gebraucht, denn Europa muss sich in Sachen Verteidigung von seiner Abhängigkeit von den USA lösen. Beim Rüstungskauf verstärkt auf europäische Hersteller zu setzen, kann auch eine Form der Industriepolitik sein.
Fraglich ist, ob bei der ersten offiziellen Zusammenkunft von Präsident und Kanzler am Mittwoch bereits konkrete Initiativen angekündigt werden, etwa hinsichtlich dem gemeinsam zu entwickelnden Luftkampfsystem der Zukunft oder beim deutsch-französische Kampfpanzerprojekt MGS, die vorankommen. Zunächst gilt es, die Basis zu schaffen für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Für sie bleiben nur zwei Jahre, dann wird in Frankreich gewählt und Macron tritt ab. Es werden zwei wichtige Jahre für Europa, das nicht auf eine stabile Achse Paris-Berlin verzichten kann.