Am 6. Mai erfüllt sich für Friedrich Merz ein lang gehegter Wunsch. Er wird als Bundeskanzler vereidigt. Schon vor rund 25 Jahren hat es ihn ins Bundeskanzleramt gezogen. Angela Merkel stand ihm dabei im Wege. Der 6. Mai wird für Merz vor diesem Hintergrund sein wie für andere die Abiturfeier, der Uniabschluss, die Hochzeit oder alles zusammen. Doch: Wie lange wird das Hochgefühl anhalten, bei ihm und seinen Kabinettskollegen?
Die Erwartungen, die auf der kleinen Großen Koalition lasten, sind hoch, vermutlich zu hoch. Das liegt auch daran, dass sie ein schweres Erbe antritt. Sie muss nämlich auch wettmachen, was die Ampelregierung angekündigt hat, aber nicht verwirklichen konnte. Rot, Grün und Gelb wollten neuen Schwung ins Land bringen, sie wollten den Mehltau nach 16 Jahren Kanzlerinnenschaft Angela Merkels abschütteln. Selbst wenn das in Teilen gelungen sein mag, in Erinnerung bleibt die Ampelregierung als zerstritten und überfordert.
Also gilt: jetzt aber. CDU, CSU und SPD wollen "Verantwortung für Deutschland" übernehmen, so steht es über dem Koalitionsvertrag. Das ist, sollte man annehmen, an sich eine Selbstverständlichkeit, wenn man sich an die Spitze einer Regierung stellt. Vielleicht ist es aber auch der Versuch, kleinere Töne zu spucken als die selbst ernannte "Fortschrittskoalition". Weiter heißt es: "Wir verstehen das Wahlergebnis als Auftrag für eine umfassende Erneuerung unseres Landes, die auf Stärken baut und Schwächen bereinigt, die neue Sicherheit schafft, Stabilität bietet und Zusammenhalt stärkt (...). Die nächste Bundesregierung muss auf den Stärken unseres Landes aufbauen und die großen Aufgaben richtig angehen. Mit Reformen und Investitionen wollen wir Deutschland wieder nach vorne bringen".
Das sind gute Absichten und allerhand Allgemeinplätze zugleich. Die vielfach überzogenen Ansprüche in der Bevölkerung an den Staat werden genährt durch die Selbstdarstellung der neuen Koalitionäre – nicht etwa nur im Wahlkampf. "Weg frei für eine starke Regierung, die die Probleme unseres Landes endlich wieder löst", kommentierte Merz noch am Mittwoch, nachdem das Ergebnis des SPD-Mitgliederentscheids veröffentlicht worden ist.
Das größte Versprechen, das auf der neuen Bundesregierung lastet, ist die Ankündigung, die Infrastruktur wieder auf Vordermann bringen zu wollen. Viele Bürger werden unausgesprochen erwarten, dass noch im Mai ein merkbarer Ruck durchs Land geht, dass sich überall heinzelmännchengleich Bautrupps in Bewegung setzen. Geld ist schließlich da, das hat sich die neue Bundesregierung selbst beschafft. Allerdings: Geld allein reicht eben nicht, das hätten die Koalitionäre vielleicht häufiger betonen sollen, oder sie sollten schleunigst damit anfangen.
Der Verein Deutscher Ingenieure warnt: "Wir brauchen für die Umsetzung des riesigen Investitionspakets in konkrete Projekte, die mehrere Jahre in Anspruch nehmen werden, mehr Ingenieurskapazitäten", sagte sein Direktor Adrian Willig. Der Investitionsstau ist so groß, dass in den nächsten vier Jahren nur ein Anfang gemacht werden kann. Der Bundesregierung muss viel daran liegen, Projekte in allen Teilen der Republik zu finden, deren Erneuerung symbolhaft für ihre angekündigte Tatkraft steht.
In der SPD wiederum herrscht eine eigene Dynamik. Die Koalition mit der Union ist weniger als eine Vernunftehe. Sie dient dazu, die SPD durch politische Erfolge aus dem Tal der Tränen und miesen Umfragewerte zu führen. Wie lange werden die Parteien tatsächlich gemeinsam regieren, bis sie erneut in den Wahlkampfmodus wechseln?
"Wir gehen nicht als Aufpasser oder als reines Korrektiv in diese Regierung. Wir wollen gestalten." Das zu betonen, fühlte sich der designierte Vizekanzler Lars Klingbeil an diesem Donnerstag bemüßigt. Das klingt (noch?) nicht danach, dass alle in den nächsten Jahren ohne Rücksicht auf die eigene Agenda alles daran setzen, um das Land durch stürmische Zeiten zu lotsen. Friedrich Merz sollte den Tag der Kanzlerwahl auskosten. Die nächsten Tage und Monate dürften anstrengend werden.