Zum ersten Mal gibt es einen Hinweis, wie die Täter im Fall des vergifteten russischen Ex-Doppelagenten Sergej Skripal vorgegangen sein könnten. Skripal und seine Tochter kamen wohl an ihrer eigenen Haustür im englischen Salisbury mit dem Gift in Kontakt. Dort wurde die höchste Konzentration des Nervengifts entdeckt, teilte die Polizei mit. Einem BBC-Bericht zufolge soll es an der Türklinke gewesen sein, möglicherweise in Form eine klebrigen Masse, die jemand dort hingeschmiert haben könnte.
Skripal und seine Tochter Yulia waren am 4. März bewusstlos auf einer Parkbank in der Innenstadt von Salisbury entdeckt worden. Die Ermittler gehen davon aus, dass sie mit dem in der früheren Sowjetunion entwickelten Kampfstoff Nowitschok vergiftet wurden. Spuren davon wurden an mehreren Orten gefunden, die die Skripals an dem Tag besuchten. Beide befinden sich seitdem in einem kritischen aber stabilen Zustand, wie es heißt. Eine Nichte Skripals sagte der BBC, die Überlebenschance seien gering. Mit bleibenden Schäden sei zu rechnen.
London macht Moskau für den Anschlag verantwortlich. Russland streitet aber jegliche Verantwortung ab. Trotzdem wiesen weltweit inzwischen 27 Staaten russische Diplomaten aus, darunter auch Deutschland, Frankreich und die USA. Die Gesamtzahl der betroffenen Personen liegt bei mehr als 140. Sieben weiteren russische Diplomaten wurden von der Nato vor die Tür gesetzt. Am Donnerstag erklärte sich Georgien solidarisch mit London und kündigte die Ausweisung eines russischen Diplomaten an. Das Verhältnis zwischen Russland und der Republik im Südkaukasus ist seit einem Krieg 2008 zerrüttet.
Die britische Polizei kündigte an, weiter intensiv im Umkreis des Wohnhauses von Sergej Skripal in Salisbury nach Beweisen zu suchen. Die Ermittlungen könnten sich aber noch über Monate hinziehen. Ausgewertet werden auch 5000 Stunden mit Videomaterial von Überwachungskameras. Großbritannien ist eines der am stärksten mit Videokameras überwachten Länder der Welt. Im Fall des 2006 in London mit radioaktivem Polonium vergifteten Kremlkritikers und Ex-Agenten Alexander Litwinenko war es unter anderem die Identität der Täter, die eine Zuordnung nach Moskau ermöglichte.
London und Washington zeigten sich indes entschlossen, gemeinsam russische Spionagenetzwerke in ihren beiden Ländern zu zerschlagen. Premierministerin Theresa May und Präsident Donald Trump seien sich einig, "geheime russische Aktivitäten einzudämmen und weitere Angriffe mit Chemiewaffen auf dem Boden beider Staaten zu verhindern", wie das Weiße Haus in Washington am Mittwoch nach einem Telefonat der beiden Politiker mitteilte.
May sprach am Mittwoch auch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Beide Politikerinnen hätten übereingestimmt, dass es nötig sei, die Zusammenarbeit gegen die zunehmende russische Aggression fortzusetzen, teilte ein Sprecher des britischen Regierungssitzes Downing Street mit.
Als Reaktion auf westliche Strafmaßnahmen in dem Fall erwägt Russland angeblich die Schließung des US-Generalkonsulats in St. Petersburg. Das berichtete die Zeitung "Iswestija" unter Berufung auf Quellen im russischen Außenministerium.
Russische Behörden baten Großbritannien indes offiziell um Einblick in die Ermittlungen zu dem Giftanschlag. Die Tochter des Ex-Agenten Sergej Skripal sei russische Staatsbürgerin, hieß es in einer Mitteilung des Staatlichen Ermittlungskomitees vom Donnerstag in Moskau. Die britischen Behörden wurden aufgefordert, Kopien ihrer Akten zu dem Mordanschlag auf Vater und Tochter von Anfang März zu übermitteln.
Europapolitiker der CDU kritisieren die österreichische Regierung dafür, dass sie keine russischen Diplomaten ausweisen will. Der Außenexperte Elmar Brok sagte der "Bild"-Zeitung (Donnerstag), alle EU-Staaten hätten gemeinsam handeln müssen. "Dass Österreich auf Neutralität pocht, ist absurd, schließlich geht es um Solidarität für ein EU-Land, in dem ein offensichtlich von Russland befohlener Giftanschlag verübt wurde." Der Europa-Abgeordnete David McAllister sagte, alle EU-Staaten inklusive Österreich sollten volle Solidarität zeigen.
Mehrere EU-Staaten weigern sich, sich den Ausweisungen von Botschaftspersonal anzuschließen. Dazu gehören Österreich, Luxemburg, Griechenland, Bulgarien, Slowenien, Zypern, Malta, Portugal und die Slowakei. Gründe sind zumeist die unklare Beweislage, aber auch die teilweise engen wirtschaftlichen Beziehungen und diplomatische Erwägungen.
Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner sagte, der "Süddeutschen Zeitung", die Ausweisung von Diplomaten sei "nicht der Weisheit letzter Schluss". Damit werde eine Eskalationskaskade in Gang gesetzt, "die uns noch sehr schaden kann", warnte er. Er habe zwar Verständnis für das Bemühen um Solidarität mit Großbritannien, in der Europäischen Union und in der Nato. Er forderte aber zugleich, "dass endlich konkrete Beweise für die russische Verantwortung auf den Tisch gelegt werden". Zu den westlichen Werten gehöre auch das Prinzip, dass "Anschein und Plausibilität allein zu einer Verurteilung nicht reichen". (dpa)