Es ist eine bewährte Taktik der konservativen Partei, vor Nachwahlen ein besonders düsteres Szenario in Aussicht zu stellen. In diesem Sinne sind die sogenannten By-elections für die Tories weniger dramatisch ausgegangen als befürchtet. Hatten Umfragen auf einen Verlust aller drei Kreise für die Konservativen von Premier Rishi Sunak hingedeutet, konnte die Partei zumindest dies vermeiden. Die Tory-Partei verlor in England zwei von drei Wahlkreisen, einen an Labour und einen an die Liberaldemokraten.
Nötig wurden die Nachwahlen durch Rücktritte drei konservativer Abgeordneter im Juni dieses Jahres, neu besetzt wurde damit auch der einstige Sitz des Ex-Premiers Boris Johnson. Während die Tories die Wahlkreise Selby and Ainsty sowie Somerton and Frome verloren, verteidigten sie den Wahlkreis Uxbridge and South Ruislip in Westlondon und damit ausgerechnet den Sitz des einstigen Regierungschefs, allerdings äußerst knapp.
Dabei drückten die Wähler jedoch nicht etwa ihre Zustimmung für die Tories, sondern eher ihre Unzufriedenheit mit dem Londoner Labour-Bürgermeister Sadiq Khan aus, der über die Köpfe der Bürger hinweg die „Ultra Low Emission Zone“ (ULEZ) ausgeweitet hatte. In diesem Gebiet müssen Fahrzeuge strenge Abgaswerte erfüllen. Bei einem Verstoß drohen hohe Strafen.
Ergebnis drückt den Unmut aus
Das Ergebnis Nachwahlen zeigt, was Umfragen seit einiger Zeit anzeigen. „Für die konservative Partei sieht es sehr düster aus”, wie Anand Menon von der Denkfabrik „UK in a Changing Europe“ gegenüber dieser Zeitung betonte. Besonders schmerzhaft ist für die Partei dabei der Verlust des Wahlkreises Selby, der bislang immer in konservativer Hand war und bei dem die Partei nun große Verluste hinnehmen musste.
Die schlechten Ergebnisse der Tories bei den Nachwahlen drückt den Unmut der Briten über die Regierungspartei aus. Laut Meinungsforschungsinstitut Ipsos sind acht von zehn Wählern unzufrieden mit der Art und Weise, wie sie das Land führt. Ebenso viele sagen, dass es „Zeit für ein neues Führungsteam“ sei. Dabei stören sich die Wähler laut Sophie Stowers von „UK in a Changing Europe“ insbesondere an dem anhaltenden Streit und Kampf innerhalb der Tory-Partei; mit den Brexit-Hardlinern und Unterstützern von Boris Johnsons auf der einen und den Anhängern von Sunak auf der anderen Seite. Gleichzeitig seien die Wähler frustriert wegen der wirtschaftlichen Lage im Vereinigten Königreich. Das Land leide unter den Folgen des „Mini-Budgets“ von Ex-Premierministerin Liz Truss, es stürzte die Märkte im vergangenen September in Aufruhr und das Land in ein wirtschaftliches Chaos.
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Die Inflationsrate liegt anders als in vielen Ländern Europas immer noch bei knapp acht Prozent, obwohl der britische Premierminister Rishi Sunak versprochen hatte, sie schnell zu senken. Um die Preisspirale zu stoppen, hat die Bank of England die Leitzinsen erneut erhöht, was auch Hypothekenzinsen weiter steigen ließ. Hinzu kommt der miserable Zustand des nationalen Gesundheitssystems NHS und die anhaltenden Streiks im öffentlichen Dienst. Die Liste der Probleme ist lang und viele Briten bekommen die Folgen jeden einzelnen Tag zu spüren. Dass sich die Tory-Partei angesichts des schlechten Ergebnisses bei den Nachwahlen auf der Suche nach einem neuen Regierungschef gemacht hat, glaubt Stowers jedoch nicht. „Daran hat die Partei wirklich gar kein Interesse.“ Zu groß wäre die Unruhe, die dadurch entstünde.
Angesichts der anhaltenden Krisen bei der Tory-Partei hält Stowers einen Sieg der Labour-Partei bei den kommenden Wahlen für möglich. Oppositionschef „Keir Starmer mag zurückhaltend und nicht besonders radikal sein”, so Stowers, viele Wähler trauen ihm die Aufgabe jedoch eindeutig zu. Im Gegenteil: Wenn Starmer in die Downing Street Nummer 10 einziehen sollte, dann womöglich, weil er als etwas langweilig gilt. Die Ergebnisse bei den Nachwahlen deuteten jedenfalls in diese Richtung.