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Iran Der Gesang der Freiheit

In der Vergangenheit wurden regierungsfeindliche Unruhen im Iran niedergeknüppelt. Dieses Mal könnte es ein Wendepinkt sein. Grund dafür ist die Breite der Protestbewegung, meint Birgit Svensson.
13.10.2022, 21:26 Uhr
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Der Gesang der Freiheit
Von Birgit Svensson

Vier Wochen dauern die Demonstrationen im Iran an, und es sieht nicht danach aus, dass die Stimmen auf der Straße bald verstummen werden. Die Mullahs in Teheran wissen sich nicht mehr zu helfen. Die altbewährte Haudrauf-Methode funktioniert dieses Mal nicht, auch wenn die Brutalität gegenüber den Aufbegehrenden zunimmt. Denn die Menschen haben ihre Angst überwunden, mit der das Regime lange Jahre regiert hat – eigentlich seit 1979, seitdem Ajatollah Khomeini die islamische Revolution ausrief und die absolute Monarchie für immer begraben wollte.

Am furchtlosesten sind die Frauen. Sie beweisen einen ungeheuren, beneidenswerten Mut. Und das ist es, was die Proteste dieses Mal so einzigartig macht. In einer konservativ, ja fundamentalistisch islamischen Gesellschaft wie der des Iran, sind Repressalien oder Gewalt gegen Frauen in der Öffentlichkeit ein Tabu. In der Denkweise der Muslime müssen Frauen beschützt werden. Wenn also auf offener Straße Frauen durch männliche ­Sicherheitskräfte körperlich angegriffen, niedergerungen oder gar, wie im Fall Mahsa Amini, misshandelt werden, kocht bei vielen Männern das Blut in den Adern. So erklärt sich, dass sich immer mehr Männer den Protesten der Frauen anschließen.

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Das ist auch gut so. Denn wenn die Proteste dieses Mal Erfolg haben sollen, müssen sie von breiten Schichten der Bevölkerung getragen werden und flächendeckend stattfinden. Bei den Aufständen 2019, 2018 und 2009 war dies nicht der Fall. Die Demonstrationen waren auf große Städte wie die Hauptstadt Teheran, Maschhad oder Isfahan begrenzt, auf dem Land oder in den Kleinstädten schienen die Menschen noch fest an der Seite des Regimes zu stehen.

Das ist dieses Mal anders. Im ganzen Land begehren die Iranerinnen und Iraner gegen die Turbanträger in Teheran auf und fordern Freiheit. Der Slogan „Frauen lieben Freiheit“, mit dem die Proteste vor einem Monat begannen, wird sich vielleicht bald in „das Volk liebt Freiheit“ verwandeln.

So schreibt die Österreicherin iranischer Herkunft, Solmaz Khorsand, in einem Stimmungsbericht für die "Wiener Zeitung": „Für das Tanzen in der Gasse. Für die Sehnsucht nach einem normalen Leben. Für die Zukunft. Das Lied Baraye Azadi – Für die Freiheit – von Shervin Hajipour hat sich zu einer Hymne der aktuellen Protestbewegung im Iran entwickelt. Ob von Teherans Dächern oder auf Demonstrationen in der Diaspora auf der ganzen Welt, Millionen Menschen singen diese Zeilen des mittlerweile verhafteten Sängers, die ausdrücken, wofür seine Landsleute auf die Straße gehen, dem Regime die Stirn bieten und dafür ihr Leben riskieren. Und auch verlieren.“ Über 180 Tote soll es bereits gegeben haben.

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Auslöser der gewaltvollen Proteste im Iran ist der Tod der jungen Jina Mahsa Amini, die in Polizeigewahrsam starb. Wegen ein paar sichtbaren Haarsträhnen, die ihr Kopftuch nicht bedeckt haben sollen, wurde die 22-Jährige am 13. September von der „Sittenpolizei“ festgenommen. Wenig später war sie tot. CT zeigen, dass sie Hirnblutungen erlitten hat. Die Polizei spricht von einem Herzinfarkt.

Mittlerweile distanzieren sich selbst Regimeanhänger von dieser Version der Geschichte. So hat ein ehemals hochrangiger Kommandant der Revolutionsgarden eine Audiodatei auf Youtube hochgeladen, in der auch er bestätigt, dass Amini so schlimm zugerichtet worden sei, dass sie schließlich ihren Verletzungen erlag.

Was bei den heftigen Reaktionen der Bevölkerung keine Rolle spielt, wird jedoch vom Regime instrumentalisiert: Die getötete Frau war eine Kurdin. Es seien Kurden, die die Aufstände gegen die Regierenden planen und dazu anstacheln. Kurdische Exilorganisationen werden im Nordirak angegriffen. Amerika und Israel seien schuld, und auch Europa sei nicht unbeteiligt.

Zwei Franzosen sind unter dem Vorwurf der Spionage vor einigen Tagen inhaftiert worden. Das hat System bei den Mullahs. Schon öfter haben sie ausländische westliche Geiseln genommen, um dadurch ein Faustpfand gegenüber deren Regierungen in der Hand zu haben. Vor der Kamera müssen sie dann gestehen, für den Geheimdienst gearbeitet zu haben. Ob das die Frauen und Männer auf den Straßen Irans beeindruckt, bleibt erst einmal dahingestellt.

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