Die Europäische Kommission hat Ungarn erstmals offen mit Bestrafung wegen Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze gedroht. Ursula von der Leyen, die Präsidentin der EU-Behörde, nutzte am Mittwoch eine Debatte des EU-Parlaments, um die Regierung in Budapest zur Rücknahme des umstrittenen Homosexuellen-Gesetzes aufzufordern. „Dieses Gesetz nutzt den Schutz der Kinder ... als Vorwand, um Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung schwer zu diskriminieren“, sagte die Kommissionschefin. „Es widerspricht zutiefst den Grundwerten der Europäischen Union – dem Schutz der Minderheiten, der Menschenwürde, der Gleichheit und der Wahrung der Menschenrechte“.
Der ungarische Premierminister Viktor Orban hatte die umstrittenen neuen Regeln, denen zufolge Filme, Informationen und Veröffentlichungen mit Darstellungen von Lesben und Schwulen Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren nicht mehr gezeigt oder zugänglich gemacht werden dürfen, als Schutz der Kinder verteidigt. Dies ließ von der Leyen nicht gelten und betonte erneut: „Dieses Gesetz ist schändlich.“
Befreiungsschlag für von der Leyen
Der Auftritt war für von der Leyen aber auch wohl ein Befreiungsschlag in eigener Sache. Denn eigentlich hatte die Kommissionspräsidentin für Anfang kommender Woche einen Besuch in Budapest geplant, um die frohe Kunde zu überbringen, dass der nationale Aufbauplan genehmigt wurde und demnächst die erste Rate von insgesamt 7,2 Milliarden Euro fließen würde. Doch schon seit Tagen wurde hinter den Kulissen debattiert, wie von der Leyen bei einem wegen seiner rechtsstaatlichen Defizite kritisierten Premierminister zu Gast sein und dort „fröhlich mit einem Milliardenscheck winken“ könne.
Die Frage hat sich erledigt. Denn am Dienstagabend, einen Tag vor dem Auftritt im EU-Parlament, teilte die EU-Behörde mit, dass der ungarische Plan in der vorliegenden Form nicht genehmigt werde. Vor dem Plenum des europäischen Abgeordnetenhauses kündigte von der Leyen nun sogar an, dass die Verwendung der EU-Mittel durch Ungarn bereits überprüft werde. Sollte sich herausstellen, dass Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit die finanziellen Interessen der EU zum Beispiel durch Korruption oder fehlerhafte Verwendung beeinträchtigen, müssten Maßnahmen ergriffen werden. Im Herbst werde man entscheiden.
EU-Parlament macht Druck
Inzwischen steigt der Druck des Parlamentes auf die Kommissionschefin immer weiter. Selbst aus den eigenen Reihen der christdemokratischen Fraktion gibt es offene Aufforderungen, endlich etwas zu tun. Es werde Zeit, dass die „Kommission das neue Instrument der Rechtsstaatlichkeit anwendet“, erklärten am Mittwoch die beiden Vorsitzenden der CDU- und CSU-Parlamentarier, Daniel Caspary und Angelika Niebler. Was die EU-Volksvertreter besonders auf die Palme bringt: Sollte die Kommission tatsächlich erst im Herbst aktiv werden, erhält Ungarn zuvor noch eine Milliarde Euro aus dem normalen Haushalt an Subventionen. Das aber wäre vermeidbar. Einige Abgeordnete hatten bei drei namhaften Rechtsprofessoren ein Gutachten in Auftrag gegeben. Sie kommen zu dem Schluss, dass ein Verfahren zur Kürzung oder dem Entzug von EU-Mitteln sofort eingeleitet werden könnte. Denn schon jetzt gebe es in Ungarn handfeste Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit und gegen die finanziellen Interessen der EU.