Die Kameras liefen mit, als sich der Anführer der Proud Boys und der einäugige Chef der Oath Keepers am Vorabend des Sturms auf das US-Kapitol in einer unterirdischen Garage trafen. Enrique Tarrio und Stewart Rhodes hatten sich dort mit einer Gruppe von Aktivisten verabredet, um über den kommenden Tag zu sprechen. Der britische Dokumentarfilmer Nick Quested durfte das Treffen mit Erlaubnis Tarrios filmen.
Ob seine Aufnahmen der Staatsanwaltschaft das Beweismaterial lieferten, das nun zu der zusätzlichen Anklage gegen den Chef der Proud Boys führte, blieb zunächst unklar. Im März hatte das Justizministerium Enrique Tarrio wegen eines geringfügigeren Tatbestands angeklagt. Nun folgte eine Anklage wegen aufrührerischer Verschwörung. Die Bundesanwälte müssen jetzt beweisen, dass die Verschwörer mit dem Einsatz von Gewalt versucht haben, die Regierung zu stürzen. Bei einer Verurteilung drohen ihnen 20 Jahre Haft.
Am 6. Januar 2021 hatten radikale Anhänger des abgewählten Präsidenten Donald Trump den Kongress mit der Absicht gestürmt, die Zertifizierung der Wahlergebnisse gewaltsam zu verhindern. Proud-Boys-Chef Tarrio war anders als Rhodes am Tag des Aufstands nicht in Washington, begleitete das Geschehen aber aus der Nachbarstadt Baltimore.
Proud-Boys-Chef soll Sturm aufs US-Kapitol gesteuert haben
Laut Anklage soll Tarrio die Ereignisse auf dem Kapitolshügel via einer Chat-Gruppe auf der Internet-Plattform Telegram gesteuert haben. Die vier Mitangeklagten Ethan Nordean, Joe Biggs, Zachary Rehl und Dominic Pezzola sollen die Aktivitäten vor Ort koordiniert haben. Laut Anklage brach Pezzola um 14.03 Uhr mit einem gewaltsam von einem Polizisten abgenommenen Schutzschild das erste Fenster im Kongress ein. Kurz darauf reklamierte Tarrio auf dem Telegram-Kanal Kredit für die Rolle seiner Schlägertruppe. "Wir haben das gemacht."
Der Anwalt Tarrios, Nayib Hassan, weist die Vorwürfe zurück. Die "Proud Boys" hätten die Chat-Gruppe nur zum Selbstschutz eingerichtet, um sich vor Angriffen linker Aktivisten zu schützen. "Mr. Tarrio freut sich darauf, von diesen Vorwürfen freigesprochen zu werden."
Mit Spannung erwartet werden die Aussagen des britischen Dokumentarfilmes Quested bei der anstehenden Präsentation der Ergebnisse der Anhörungen zum 6. Januar durch den Untersuchungsausschuss des Repräsentantenhauses. Die erste von sechs Sitzungen wird am Donnerstagabend live zur besten Sendezeit im amerikanischen Fernsehen übertragen.
Das Komitee hatte in den vergangenen Monaten mehr als 1000 Zeugen vernommen und mehr als 140.000 Dokumente gesichtet. Der Kongressausschuss selbst kann nach Abschluss seiner Arbeit lediglich Empfehlungen geben. Die Entscheidung über eine Anklage des Ex-Präsidenten, der seine Anhänger zum Sturm auf das Kapitol aufgestachelt haben soll, oder hoher Mitglieder seiner Regierung liegt beim Justizministerium.