Mit dem kühlen Blick eines Ökonomen lässt sich fast alles mit Zahlen erklären. Danach haben sich Beschäftigte im Gesundheitswesen und im Einzelhandel einfach für die falsche Branche entschieden. Nicht Ärztin, Pfleger oder Kassiererin hätten sie werden sollen, sondern Chemiefacharbeiterin oder Elektroingenieur. In diesen Bereichen nämlich, dem verarbeitenden Gewerbe, ist das Produktivitätswachstum doppelt so hoch wie im Gesundheitssektor oder im Bereich des Einzelhandels.
Und woran liegt das? Der Dienst am Menschen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen ist schlicht zu „arbeitsintensiv“. Das heißt vereinfacht: Rein wirtschaftlich betrachtet drücken immer noch zu viele Beschäftigte die Produktivität. Und um das kompensieren zu können, müssen die Löhne niedrig bleiben. Ein Schlag ins Gesicht all jener, die sich seit Jahren genau in diesen Berufen aufreiben.
Dabei sollte doch im Corona-Jahr alles besser werden. Plötzlich galten medizinisches Personal, Pflegekräfte und Beschäftigte im Einzelhandel als „Helden des Alltags“, erhielten Applaus, Wertschätzung, in Teilen sogar höhere Gehälter. Doch der allgemeinen Gehaltsentwicklung laufen sie immer noch hinterher. Unverzichtbar ist ihre Arbeit, da sind sich alle einig. Zu teuer aber darf sie keinesfalls werden.
Wenn also endlich Schluss gemacht werden soll mit dem Kaputtsparen in Gesundheit und Pflege, dann muss jetzt gehandelt werden. Gut, im Bereich der Bezahlung mag man von einem ersten Schritt zur Besserung sprechen. Was jedoch Arbeitsbedingungen und Personalausstattung in Kliniken und Heimen angeht, ist die Belastungsgrenze längst weit überschritten. Viel Idealismus war und ist bei Ärzte- und Pflegepersonal immer schon Teil der Arbeit. Doch dieses Selbstverständnis darf nicht ständig ausgenutzt werden. Es braucht endlich mehr medizinisches und pflegerisches Personal. Und es ist schlimm genug, dass dies ausgerechnet durch eine Pandemie so erbarmungslos offengelegt wird. Es reicht eben nicht, Untergrenzen für Pflegekräfte in Krankenhäusern zu beschließen, wenn sie kurz darauf wieder ausgesetzt werden.