Es ist seltsam: Die Beschränkungen werden gelockert, aber die Stimmung bleibt unterkühlt. Statt des großen Aufatmens eher ein genervtes Seufzen. Verständlich: Wenn man beim Restaurantbesuch erst einmal Daten hinterlegen muss, als wolle man eine Schusswaffe erwerben, vergeht das kulinarische Vergnügen schon vor dem Blick in die Speisekarte. Die Nahrungsaufnahme findet dann unter den Bedingungen einer Abitursprüfung statt.
Und wer in den Geschäften tatsächlich etwas kaufen will, steht oft erst einmal vor dem Laden Schlange, um dann vermummt und auf Distanz bedacht schnellstmöglich seine Besorgung zu tätigen. Wie soll da jene Euphorie bei der Kundschaft entstehen, auf die der gebeutelte Einzelhandel nach der Wiedereröffnung so gehofft hatte? Offenbar besteht der Reiz der Innenstädte für viele Menschen doch aus mehr, als dort bloß Geld zu lassen für irgendwelche Produkte oder Dienstleistungen.
Bummeln und Flanieren unter den wachsamen Blicken von Polizei und Ordnungsamt, die einen womöglich beim unerwarteten Wiedertreffen von Bekannten gleich von der Bank scheuchen? Nach den Terroranschlägen 2015 gingen die Pariser ganz bewusst aus: Wir lassen uns unseren Lebensstil, unsere Boulevards nicht nehmen, war ihre Botschaft. Doch Covid-19 erzeugt weit mehr Verunsicherung als der IS mit all seiner Brutalität.
Sicher, die meisten Maßnahmen dienen dem Schutz von Leib und Leben – wie die lästigen, doch notwendigen Sicherheitschecks bei Flugreisen. Manchmal aber geht es offensichtlich nur ums Prinzip von Bevormundung und Kontrolle. Zum bevorstehenden Himmelfahrts- und Vatertag etwa wird gemaßregelt, was die Bürokratie hergibt: Der Landkreis Aurich verbietet Autodiscos und Alkoholausschank, Stade will keine Bollerwagentouren dulden und Lüneburg untersagt Kanu- und Floßpartien auf der Ilmenau. Mit Seuchenprävention hat das nichts mehr zu tun, da fehlt jedes Maß.
Die Krise auch als Chance nutzen
Wenn sich die Bürokratie jetzt wenigstens dort zurücknähme, wo die Grundlagen für ein funktionierendes Gemeinwesen geschaffen werden: im Wirtschaftsleben. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag will ja keineswegs umweltpolitische Ziele schleifen: Was spricht gegen mehr Platz für Außengastronomie, flexiblere Ladezonen-Regelungen, weniger Nachtflugverbote, kürzere Aufbewahrungsfristen, lebensnähere Datenschutzvorschriften? So könnte man die Krise auch als Chance nutzen, mittelfristig sogar gestärkt aus ihr hervorgehen.
Wer jedoch Wohlstand und Wachstum verachtet, richtet sich im freudlosen Ist-Zustand ideologisch ein: Leute, die apodiktisch sagen, dass es ein Zurück zu den Vor-Corona-Verhältnissen keinesfalls geben dürfe und die sich klammheimlich über die Krise von Automobilindustrie, Luftfahrt und Tourismus freuen. Das Virus ist ihr Vehikel für den Systemwechsel.