Die Woche der Brüderlichkeit steht ganz im Zeichen der christlich-jüdischen Zusammenarbeit. Zentraler Bestandteil der Festlichkeiten ist die mahnende Erinnerung an den Holocaust. Die katholische Kirche jedoch hat bisher viel zu wenig Bereitschaft an den Tag gelegt, ihre unrühmliche Rolle zur Zeit des Nationalsozialismus aufzuarbeiten. Papst Franziskus’ Ankündigung, im März 2020 endlich die Geheimarchive des viel diskutierten Pontifikats von Pius XII. zu öffnen, ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Von 1939 bis 1958 führte Pius XII. die katholische Kirche an. Sein Verhältnis zum Dritten Reich ist bis heute umstritten. Einerseits halten Fürsprecher ihm zugute, immerzu um den Dialog mit den Nationalsozialisten bemüht gewesen zu sein, um Menschenleben zu schützen. Auf der anderen Seite muss sich der Vatikan den Vorwurf gefallen lassen, mit seiner außenpolitischen Zurückhaltung Hitler in die Hände gespielt zu haben. Bis auf einzelne, mutige Geistliche blieb echter Protest weitgehend aus. Pius XII. und seine Kirche einseitig zu verdammen, greift natürlich zu kurz. Allerdings herrschte auf katholischer Seite vielerorts die Bereitschaft, die Nazis zu dulden. Manche unterstützten sie sogar.
Mithilfe des Vatikans konnten sich viele führende Naziverbrecher ins Ausland absetzen. So lebte Josef Mengele bis zu seinem Tod 1979 als freier Mann in Brasilien. Und Adolf Eichmann musste erst aus Argentinien entführt werden, um vor Gericht zu kommen. Schlüsselfigur der groß angelegten Fluchthilfe war Alois Hudal – Bischof, päpstlicher Thronassistent und glühender Nazi-Sympathisant. Inwieweit Pius XII. selbst davon wusste, ist bisher unklar. Die Geheimarchive könnten Antworten liefern auf die vielen offenen Fragen, die sich um ihn und sein Wirken ranken.
Durch die jahrzehntelange Verschleierungstaktik hat die katholische Kirche an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Für einen Dialog auf Augenhöhe mit den jüdischen Gemeinden Europas braucht es Transparenz und den ehrlichen Willen zur Selbstkritik. Die Öffnung der Geheimarchive ist ein wichtiges Zeichen, auch wenn es 75 Jahre nach Kriegsende reichlich spät kommt.