Gerade erleben wir die große Bereitschaft der Bevölkerung, die Einschränkungen der Corona-Krise anzunehmen und konkret Solidarität zu üben. Vielleicht werden wir einmal von diesem gesellschaftlichen Kraftakt auch als gemeinsame Erfahrung zurückbehalten, dass da den Menschen in großer Zahl gelungen ist, was ihnen als Einzelnen nie möglich gewesen wäre: das Gemeinwesen kollektiv aus einer bedrohlichen Notlage zu befreien.
Diese Erfahrung kann zu demokratischerer Mitgestaltung des Gemeinwesens auch nach der Corona-Krise beitragen – wenn wir dafür heute die Weichen stellen. Wenn allerdings Wirtschaft und Gesellschaft nach der Corona-Krise einfach zum „Normalbetrieb“ zurückkehren, wird sich ein Prozess, den wir seit langem beobachten, fortsetzen, gar verstärken: Dass viele Menschen sich vom Regierungssystem, von Parteien und Verbänden, von aufklärenden Medien abwenden, weil sie nicht darauf vertrauen, als Menschen und als Bürger im Gemeinwesen ernst genommen zu werden.
Kommunen als Labore demokratiefördernder Bürgerbeteiligung
Wie es um Demokratie steht, erfahren Menschen vor Ort, in Osterholz-Tenever, im Viertel, in Gröpelingen: Ob ihre Stimme zählt, ob es lohnt, sich mit anderen zusammen zu artikulieren, ob die Oberen bereit sind zuzuhören, ob daraus eine bessere Gestalt des Gemeinwesens folgt. Kommunen können Laboratorien demokratiefördernder Bürgerbeteiligung sein – wenn sie der Vielfalt von Lebenslagen und Überzeugungen Stimme verleihen, wenn sie die Menschen ermutigen, wechselseitig zuzuhören und zu lernen, und mit ihnen über gutes Leben und nachhaltige Zukunft des Gemeinwesens beratschlagen.
In Bremen wird dieser Tage an einem wichtigen Detail entschieden, wie ernst es die Politik mit demokratischer Bürgerbeteiligung wirklich meint. Die Senatskanzlei soll – so legte der Senat 2018 fest - eine mit kompetentem Personal ausgestattete Koordinierungsstelle für Bürgerbeteiligung einrichten. Diese soll als Ansprechpartner für Bürgerinnen und Bürger, Ressorts und Stadtbürgerschaft bei städtischen Vorhaben Rat und Hilfsmittel für Bürgerbeteiligung bereitstellen. Beteiligung soll nicht auf handverlesene Einzelfälle, auf Politiknahe, Gebildete und Begüterte beschränkt bleiben, sondern sich für alle Betroffene öffnen. Ob es jedoch überhaupt zu dieser Koordinierungsstelle kommt, wird erst durch die gegenwärtigen Haushaltsverhandlungen entschieden.
Das Zeitfenster für demokratische Bürgerbeteiligung steht also offen – gerade für die Nach-Corona-Zeit wird diese dringend gebraucht.
Unser Gastautor
ist Forschungsprofessor im Bereich Globale Entwicklungsdynamiken von Sozialpolitik im Zentrum für europäische Rechtspolitik (ZERP) an der Universität Bremen.
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