Die EU hat Theresa May eine Lektion erteilt. Nicht die britische Premierministerin und schon gar nicht die Abgeordneten des Parlamentes in London diktieren von nun an die Bedingungen des Brexits, sondern die EU-Staaten. Der Antrag, den Austritt aus der Union zu verschieben, wurde mit Bedingungen gewürzt, die May zwar entgegenkommen, ihr aber ebenso wie dem Unterhaus Druck machen sollen: Entweder der bereits fertige Austrittsvertrag wird angenommen – dann kann der Vollzug des Brexit auf Mai verschoben werden. Im anderen Fall fliegen die Briten wie geplant am 29. März aus der Union – ohne Deal, ohne Übergangsregeln und ohne geklärte Fragen.
Um es anders zu sagen: In diesem, zweifellos schlechtesten Fall wird am Tag darauf eine Grenze zwischen Nordirland und Irland gezogen. Die innenpolitischen Folgen müssen dann die bewältigen, die das Desaster angerichtet haben. Die Geduld Europas ist zu Ende. Der Ärger sitzt tief. Chefunterhändler Michel Barnier zeigt sich mit jedem Tag wütender und enttäuschter über das Verhalten der britischen Gegenseite, mit der er einen Vertrag zustande gebracht hat, der allen geholfen hätte, einen harten Bruch in den Beziehungen zu vermeiden.
Falls May es noch nicht begriffen haben sollte, dann konnte sie an diesem Donnerstag in Brüssel erleben, wie die 27 Mitgliedstaaten, denen das Vereinigte Königreich den Rücken kehren will, geschlossen zusammenstanden. Alle Hoffnungen britischer Hardliner, sie könnten die Union von innen aufbrechen, wurden zunichte gemacht. Und als ob die EU dieses auch noch beweisen wollte, befasste sie sich am Abend mit den künftigen Beziehungen zu China – ganz nach dem Motto: Damit ihr seht, welche starke Gemeinschaft ihr verlassen werdet. Denn das ist klar: Großbritannien wird mit dem Austritt aus der EU ökonomisch um Jahre zurückfallen. Ein derart dichtes Netz von Handelsbeziehungen muss London erst einmal auf die Beine stellen.
Dieser Stimmungswechsel hat seinen Grund. Fast drei Jahre hat die EU gebraucht, um sich von dem Schock des Brexit-Votums zu erholen. Nun steht sie mit einigen Vorzeigeprojekten wie der Verteidigungsunion zumindest nach außen stabil da – auch wenn die Sorgen im Inneren, insbesondere wegen des Zwiespalts mit den rechtsstaatlich zweifelhaften Ländern im Osten, immer größer werden. Aber die Gemeinschaft hat verstanden, dass sie London und den verhassten Hardlinern um Boris Johnson nicht auf den Leim gehen darf.
Die Folgen sind verkraftbar
Natürlich werden die Wirtschaften in den Mitgliedstaaten den Schock zu spüren bekommen. Aber sie dürften auch merken, dass die Folgen verkraftbar sind – zumal mit dem sanft gestalteten Übergang und den rechtlichen Garantien des Austrittsvertrages. Doch es würde nicht wundern, wenn die Gemeinschaft sehr viel gestärkter aus dieser Krise hervorgehen würde.
Denn sie bleibt einer der größten Märkte der Welt. London wird dagegen zunächst in einer Welt voller Zoll- und Handelsschranken agieren müssen – und vor allem eine Menge damit zu tun haben, überhaupt wieder Vertrauen als Vertragspartner aufzubauen. Das gilt umso mehr, weil zum Zeitpunkt des Brexit-Votums die USA noch als enger Vertrauter galten, dem man seit jeher verbunden war und deshalb auch bleiben würde. Doch Trump und seine Ideologie des „America First“ sind ein schwerer Rückschlag für die britischen Großmachtsträume.
Und so wird am Tag des Brexits, wie auch immer er am Ende abläuft, das Gerangel weitergehen. Selbst mit einem Austrittsvertrag müssen die endgültigen Bestimmungen in einem dauerhaften Abkommen geregelt werden. Ohne Deal bleibt EU und Großbritannien nichts anderes übrig, als einen Weg miteinander zu finden. Sollte es in London irgendjemanden geben, der glaubt, das würde nun einfacher, wäre er naiv. Denn abgesehen von den politischen Abmachungen haben die Insulaner ihren Ruf als zuverlässige Verhandlungspartner in Brüssel für lange Zeit ruiniert und die Bereitschaft zu fairen Gesprächen nachhaltig gestört.
Genau genommen kann man die Briten für die politische Klasse, von der sie regiert wird, nur bemitleiden. Eine Führung, die nicht in der Lage ist, eine derart historische Volksentscheidung ordentlich und verlässlich auszuhandeln und mit einer Mehrheit zu beschließen, kann die ihr übertragene Verantwortung nicht schultern. Das heißt vor allem: Egal, wann der Brexit geschafft ist, Theresa Mays Tage im Amt sind wohl gezählt. Es gibt vermutlich wenige, die darüber unglücklich sind.