Kehrt nun endlich Frieden in der sogenannten Union ein? Wer das glaubt, nimmt auch an, dass Gabelstapler Gabeln stapeln. Nach dem mühsamst gekitteten Asyl-Dissens ist der nächste Großkonflikt doch längst am Horizont aufgetaucht: jener um eine gemeinsame europäische Finanzpolitik. Diese Chance zur Profilierung als ewiger Regierungsoppositioneller wird sich Horst Seehofer ganz bestimmt nicht nehmen lassen – schon deshalb nicht, weil sein Asylkrawall absehbar zum Bumerang im bayerischen Landtagswahlkampf wird.
Und die ganze CSU-Truppe wird ihm in unseliger Tradition folgen: Dann eben an einer anderen Stelle mit dem Kopf gegen dieselbe europäische Wand, aber bloß nicht nach einer Tür suchen! Was will die CDU eigentlich noch mit so einem Haufen? Zum Regieren im Bund könnte man sich längst andere, ebenso stabile Mehrheiten suchen: SPD und Grüne würden gemeinsam der Kanzlerin weniger Probleme bereiten als die bayerische „Schwesterpartei“.
Überhaupt ein merkwürdiger Begriff: Geschwister kann man sich nicht aussuchen, sie sind quasi Schicksal. Anders als Ehen, die ja meistens doch auf Zuneigung gegründet sind. Aber wie auch immer: Die Beziehungskiste von CDU und CSU ist bloß noch Brennholz für immer neue Konflikte, die das Land lähmen.
Wie groß ist denn noch der Vorrat an Gemeinsamkeiten? Man würde gerne Bundeswehr und Polizei besser ausstatten und Unternehmen entlasten, vielleicht auch durch ein wenig Bürokratieabbau. Eine echte Steuerreform in Richtung spürbare Entlastung und mehr Gerechtigkeit bekommt man auch gemeinsam gegen die SPD nicht hin – will man ja auch gar nicht wirklich, weil man die „Schwarze Null“ wichtiger findet.
Das war es dann aber auch schon. Selbst beim konservativen Herz-und-Seele-Thema „Leitkultur“ liegt man über Kreuz – im Wortsinn. Für Merkel gehört der Islam inzwischen zu Deutschland, für die CSU ist das eher ein bedauerlicher Unfall der Geschichte. Merkels CDU hat inzwischen gemerkt, dass Deutschland als faktisches Einwanderungsland auch eine entsprechende Gesetzgebung braucht – die CSU will auch dies nicht wahrhaben und steht auf der Bremse.
Dafür beglückt uns diese Partei, wenn sie denn mitregieren darf, ständig mit Projekten, die außerhalb Bayerns niemand braucht: eine Pkw-Maut etwa, die am Ende mehr Kosten verursacht als Einnahmen bringt. Das Grundproblem der CSU besteht darin, dass ihre Politiker die Welt ausschließlich durch die bayerische Brille betrachten können, selbst wenn es sie von München nach Berlin verschlagen hat.
Zu kurz gesprungen
Schon Franz Josef Strauß hatte als Verteidigungsminister vor allem die bayerischen Rüstungsunternehmen und erst dann die nationale Sicherheit im Blick. „Bayern zuerst!“ lautet das ungeschriebene erste Gebot im CSU-Programm, das auf Biegen und Brechen durchgesetzt wird – egal, ob es nun um Asylbewerber oder Stromtrassen geht.
Die ganze Hybris zeigte sich noch kurz vor dem Asylkompromiss in Seehofers Statement, er lasse sich „nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur wegen mir Kanzlerin ist.“ Neben schlechtem Deutsch ist hier auch ein erschreckender Realitätsverlust zu besichtigen. Viele, aber leider noch zu wenige in der CDU haben von dieser bajuwarischen Großkotzigkeit inzwischen die Nase gestrichen voll. Bremens Landesvorsitzender Jörg Kastendiek spricht Seehofer die charakterliche Eignung für ein Regierungsamt ab, Baden-Württembergs Agrarminister Peter Hauk zweifelt gar an dessen Zurechnungsfähigkeit.
Das ist alles sehr berechtigt, aber dennoch zu kurz gesprungen. Den 68-jährigen CSU-Chef gleichsam aus dem Berliner Innenministerium in den Ingolstädter Hobbykeller zu expedieren, reicht leider nicht. Seehofer verkörpert ja nur den Geist einer Partei, den dort viele atmen. Es bedarf also deutlich mehr reformatorischen Mutes: Die CDU muss sich endlich aus der Zwangsgemeinschaft mit der CSU befreien.
Die Union, also die gemeinsame Fraktion im Bundestag, hat sich zweifellos in der ersten Jahrzehnten als Instrument der Machtsicherung bewährt, aber eigentlich ist sie doch schon seit der legendären Männerfeindschaft zwischen Strauß und Kohl lädiert. Die beiden Versuche der CSU, selbst einen Bundeskanzler zu stellen, sind gescheitert. Der Rest Deutschlands will das eben mehrheitlich nicht. Aber die CDU hat den Anspruch, die moderne bürgerliche Mitte im ganzen Land zu vertreten. Das sollte sie endlich auch in Bayern wagen. Die Zeit dafür ist reif.