Auf der Autobahn an Oldenburg und Leer vorbei, eine Fahrt von knapp anderthalb Stunden, und dann kommt schon die Grenze: Willkommen in den Niederlanden, beim geliebten Nachbarn im Westen. Er macht die wunderbarsten Dinge, weiß gut zu leben, ist locker und lässig. Kurz: Ein Volkscharakter, der Neid weckt. Warum sind die so, fragt man sich, und wir Deutschen ganz anders: steif und überreguliert, wenig innovativ, kleinmütig und grüblerisch. Oder sind das nur Stereotypen? Was ist das mit den Niederlanden, diesem Königreich in Orange? Und was ist das mit uns?
Auf der Autobahn fängt es an. Entschleunigung. Sutje, ganz sutje geht es von der Grenze nach Groningen. Die erlaubte Höchstgeschwindigkeit liegt in den Niederlanden tagsüber bei 100 km/h. Nachts gilt Tempo 130. Als die Regelung vor drei Jahren eingeführt wurde, regte sich kaum Widerstand, im Gegenteil, es gab Forderungen nach noch mehr Drosselung. Die Entdeckung der Langsamkeit.
Deutschland dagegen quält sich seit vielen Jahren mit dem Thema herum. Die Bundesrepublik ist auf der Welt so ziemlich der einzige Staat ohne generelles Tempolimit. Von wegen sutje, auch wenn es auf den Autobahnen abschnittsweise Beschränkungen gibt. Freiheit, wie wir sie meinen, sagt die FDP, der dieses Alleinstellungsmerkmal zu verdanken ist. Da kratzt man sich angesichts der Klimakrise schon mächtig am Kopf. Und der "Käskopp" in den Niederlanden, wie er von seinen deutschen Nachbarn liebevoll genannt wird, tut das allemal.
In Groningen angekommen, geht das Staunen weiter. Guck an, so geht das, so geht Bauen im 21. Jahrhundert: merklich in die Höhe und mit einer Architektur, die nicht immer, aber oft, die Blicke fängt. Wow-Effekte, wenn sich die Häuser um die eigene Achse drehen, auskragend sind oder mit Farbe und Material spielen. Das muss nicht immer gelungen sein, aber ist das so wichtig? Zählt nicht schon das Wagnis, es mal ganz anders zu versuchen? Zu erleben ist das mitten in Groningen, aber auch an seinen Rändern, bei den Wohnsiedlungen und Gewerbebauten. Von der Stange, sagen die Niederländer, sollen andere kaufen, was übrigens auch für ihre Kleidung gilt – irre Farben, mutige Kombinationen.
Nichts gibt es in Reinkultur, natürlich nicht. Die Überspitzung hilft aber, Unterschiede deutlich zu machen. Beim Bauen, das kann man mit Fug und Recht sagen, ist zum Beispiel Bremen im Vergleich zu Groningen und den Niederlanden insgesamt, überaus bieder. Es hätten ja nicht gleich die Türme von Daniel Libeskind sein müssen, die für das ehemalige Sparkassengelände am Brill geplant waren und auf Druck des Senats schnell beerdigt wurden. Ein bisschen mehr Esprit wäre aber schon schön, oder wo gibt es, von wenigen Ausnahmen abgesehen, im Bremer Stadtbild eine Architektur, die Aufsehen erregt?
Man kann das als nicht so wichtig abtun, würde damit aber einem Trugschluss aufsitzen. Baukunst ist keine bloße Frage der Ästhetik und des feinen Geschmacks. Sie berührt den Menschen, schafft ihm die Umgebung, sich wohlzufühlen. Sie kann inspirieren, Gedanken freisetzen: durch die Harmonie der Formen oder das Gegenteil, wenn Ecken und Kanten da sind, die verstörend wirken.
Doch zurück zum Hoch auf Holland. Ein Begriff, der nicht ganz korrekt ist, wenn die gesamten Niederlande gemeint ist. Aber wem ist das zuallererst völlig schnurz? Genau: den Niederländern. Da stehen sie drüber, sind auch in diesem Fall völlig entspannt. Genauso beim kleinen Geld. Fünfe gerade sein lassen! Die lästigen Ein- und Zwei-Cent-Münzen wurden abgeschafft.
Die Niederlande, ein weiteres Beispiel, sind bei der Digitalisierung weit vorn: Platz drei hinter Finnland und Dänemark. So hatte es im Sommer die Europäische Kommission ermittelt. Bei künstlicher Intelligenz und Mikroelektronik wird vom Staat und den Unternehmen enorm viel investiert. Deutschland liegt in dem Ranking auf Platz 13.
Nun könnte man Wasser in den Wein schütten und zum Beispiel die Stärke der extremen Rechten in den Niederlanden beklagen – etwas, was so gar nicht ins sonstige Bild passt. Aber davon ein anderes Mal.