Brüssel. „Ein guter Deal ist greifbarer als je zuvor.“ Dass solche Worte einmal aus dem Munde von Brexit-Minister David Davis kommen würden, hätte wohl noch vor einer Woche niemand erwartet. Im stillen Kämmerlein verhandelten EU-Unterhändler Michel Barnier und die Vertreter Großbritanniens in den vergangenen Tagen offenbar intensiver denn je – um am Montag die „weitgehende Übereinstimmung über einen Vertrag eines geordneten Rücktritts“ des Vereinigten Königreichs aus der EU zu verkünden. Barnier war sogar voll des Lobes über die „Kompetenz und das Engagement“ des „gesamten britischen Teams“. Doch auch der nun verkündete Erfolg lässt noch genügend Lücken offen.
„Es ist eine entscheidende Etappe“, betonte Barnier, „aber eine Etappe bleibt eine Etappe. Wir sind noch nicht am Ende des Weges ankommen.“ Tatsächlich weist das Dokument des Austrittsvertrags noch viele gelb markierte Passagen auf. Sie stehen für Bereiche, in denen zwar eine politische Einigung getroffen wurde, bei denen allerdings ein entsprechendes praktisches Konzept fehlt. So auch bei der künftigen Nachbarschaftsbeziehung zwischen Irland und Nordirland. Eine harte Grenze soll es nicht geben, trotzdem müssen Waren aus dem britischen Nordirland vor der Einfuhr ins EU-Mitglied Irland den europäischen Zoll passieren. Eine Zollkontrolle schon an den Außengrenzen Nordirlands lehnt London ab, ohne eine Alternative zu bieten.
Sicherheit für EU-Bürger
Dagegen ist ein endgültiger Durchbruch bei den Rechten der in Großbritannien lebenden EU-Bürger sowie der Briten, die in der Gemeinschaft leben, gelungen. Dabei hatte Premierministerin Theresa May noch vor Kurzem davon gesprochen, EU-Bürgern, die nach dem Austritt und während der Übergangsphase ins Vereinigte Königreich ziehen, nicht dieselben Rechte zu garantieren wie jenen, die schon länger dort leben. Davon ist nun keine Rede mehr. „Die EU-Bürger, die in der Übergangsperiode nach Großbritannien kommen, genießen dieselben Rechte wie jene, die schon vorher dorthin gezogen sind.“ Alle EU-Bürger, die im Vereinigten Königreich leben, haben ab dem 30. März die Möglichkeit, eine neue Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen, die ihnen „juristische Sicherheit“ biete, führte Barnier weiter aus.
Auch über die Konditionen der Übergangsperiode sind sich die Unterhändler Barnier und Davis nun offenbar einig geworden. „In dieser Phase wird das Vereinigte Königreich nicht mehr am Entscheidungsprozess der EU teilhaben“, betonte EU-Unterhändler Barnier. Nichtsdestotrotz werde Großbritannien in dieser Zeit „sämtliche Vorteile des Binnenmarkts, der Zollunion und der politischen EU“ genießen. Im Gegenzug muss London allerdings „alle Regeln genauso einhalten wie die Mitgliedstaaten“. Bis zuletzt hatte London sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt und angedeutet, selbst entscheiden zu wollen, was in dieser Phase an EU-Regeln im eigenen Land umgesetzt wird. Während der Übergangsphase planen beide Seiten, die künftigen Beziehungen zwischen EU und Großbritannien auszuhandeln. „Das ist sehr wenig Zeit und es werden intensive Verhandlungen“, warnte Barnier schon jetzt. Zumal London in dieser Phase auch Handelsverträge mit Drittstaaten aufstellen muss, mit denen man derzeit noch über die EU verbunden ist.
Spätestens bis Oktober soll das Austrittsabkommen stehen, damit das Europäische Parlament, die Mitgliedstaaten und die britische Seite genügend Zeit haben, den Vertrag vor dem Austritt Ende März 2019 zu ratifizieren. Dass das gelingen kann, scheint nun wieder möglich. Wenn denn all die gelben Stellen im Vertragsentwurf nicht wären: Bis zu einer Unterzeichnung beider Seiten ist nichts garantiert.