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Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages hat erhebliche Zweifel an Entwurf der Regierung Experten geht das Abschiebe-Gesetz zu weit

Berlin. Schnellschüsse des Gesetzgebers sind selten zielgenau – im Fall des geplanten Gesetzes, mit dem die schnellere Ausweisung straffälliger Ausländer ermöglicht werden soll, scheint der Schuss weit danebengegangen zu sein. Die Bundesregierung will den Entwurf zwar an diesem Freitag ins Parlament einbringen, aber bereits am Donnerstag war ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags bekannt geworden, das die Rechtmäßigkeit des Gesetzentwurfs in wesentlichen Punkten bezweifelt.
19.02.2016, 00:00 Uhr
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Experten geht das Abschiebe-Gesetz zu weit
Von Christian Bommarius

Schnellschüsse des Gesetzgebers sind selten zielgenau – im Fall des geplanten Gesetzes, mit dem die schnellere Ausweisung straffälliger Ausländer ermöglicht werden soll, scheint der Schuss weit danebengegangen zu sein. Die Bundesregierung will den Entwurf zwar an diesem Freitag ins Parlament einbringen, aber bereits am Donnerstag war ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags bekannt geworden, das die Rechtmäßigkeit des Gesetzentwurfs in wesentlichen Punkten bezweifelt. Das Gutachten hatte die Linkspartei in Auftrag gegeben.

Ein zentraler Einwand betrifft die geplante Regelung, wonach Asylsuchende und Flüchtlinge in Zukunft selbst bereits dann ausgewiesen werden können, wenn sie nur zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von einem Jahr verurteilt wurden und die Strafe zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Die geplanten Gesetzesverschärfungen sind eine Reaktion auf die sexuellen Übergriffe auf Frauen am Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht durch junge Männer vornehmlich aus nordafrikanischen Ländern. In vielen Fällen war es auch zu Diebstählen und Körperverletzungen gekommen. Schon zwei Wochen nach den Vorfällen hatten sich der Bundesinnen- und der Bundesjustizminister auf Gesetzesverschärfungen verständigt.

Künftig soll ein „besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse“ bereits bestehen, wenn ein Ausländer rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von einem Jahr (bisher mehr als zwei Jahre) verurteilt wurde, unabhängig davon, ob die Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Straftaten, die das „Ausweisungsinteresse“ begründen können, sind genau aufgezählt: Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit und die sexuelle Selbstbestimmung, gegen das Eigentum oder wegen des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, sofern sie mit Gewalt oder unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib und Leben oder mit einer List begangen wurden.

Für Asylbewerber soll ebenfalls die rechtskräftige Verurteilung zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von bereits einem Jahr genügen können (bisher drei Jahre), um ihnen die Anerkennung als Flüchtlinge zu verweigern – und auch hier unabhängig davon, ob die Strafe zur Bewährung ausgesetzt ist. Die Straftaten, die die Verweigerung der Anerkennung begründen können, sind die gleichen wie im Fall der Ausweisungserleichterungen.

Nach Auffassung des Wissenschaftlichen Dienstes ist zweifelhaft, ob alle genannten Straftaten – wie es das internationale Recht verlange – als „besonders schwer“ anzusehen sind. Das bezweifeln die Gutachter für Straftaten, die „mit List“ begangen wurden, für „reine Eigentumsdelikte“ und den „Widerstand gegen die Staatsgewalt“. Vor allem aber äußern die Juristen „besondere Zweifel“ daran, das Mindeststrafmaß auf ein Jahr Freiheits- oder Jugendstrafe zu senken – insbesondere an der geplanten Regelung, wonach eine Aussetzung der Strafe zur Bewährung keine Rolle mehr spielen soll. Danach wären, heißt es in dem Gutachten, schon Straftaten erfasst, „die sich im unteren Bereich der Strafbarkeit bewegen. Dies dürfte sich mit dem Verständnis einer besonders schweren Straftat kaum decken.“

Damit bestätigten die Experten unter anderem die Kritik des Deutschen Anwaltvereins, der sich ebenfalls vor allem gegen das Vorhaben gewandt hatte, wonach eine Bewährungsstrafe künftig ausreichen soll, um Menschen den Flüchtlings- oder Asylstatus zu verweigern. Das sei ein Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention.

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