Wer Menschen dabei zugesehen hat, wie sie gegen das Sterben ankämpfen, vergisst diese Bilder nicht – nie. Vor etwas mehr als zweieinhalb Jahren bin ich für den WESER-KURIER an Bord des Seenotrettungsschiffes „Aquarius“ mitgefahren. Ich war Zuschauerin, als Frauen, Männer und Kinder in einem Schlauchboot kenterten, als sie panisch versuchten, nicht zu ertrinken und von freiwilligen Helfern gerettet wurden.
Vor wenigen Tagen habe ich ein ähnliches Szenario gesehen, aufgenommen von dem Aufklärungsflugzeug „Moonbird“ der Hilfsorganisation Sea-Watch. Wieder ein überfülltes Boot, wieder der Kampf um Leben und Tod. Wieder das Risiko, für ein besseres Leben in Europa alles zu verlieren.
Diese Bilder sind wie ein grausames Déjà-vu. Immer und immer wieder in den vergangenen Monaten. Manchmal halte ich sie nicht aus, klicke sie schnell weg. Denn zu begreifen, dass es noch immer geschieht, ist nur schwer zu ertragen. Es stellt das Europa, in dem ich leben will, infrage und macht die Wut über diese unendliche Behäbigkeit der Staaten größer.
An der Tragik im Mittelmeer hat sich nichts verändert, seitdem ich dort war. Und doch ist so viel passiert. Angeblich sind die Kriminellen jetzt nicht mehr die Schlepper oder die Warlords in Libyen. Es sind diejenigen, die eigentlich nur helfen wollen. Denen es ausreicht, ein einziges Menschenleben vor dem Ertrinken zu retten und die nicht akzeptieren, jenen die Seenotrettung zu überlassen, die die Geflüchteten wieder in Lager zurückbringen, in denen ein menschenwürdiges Dasein nicht möglich ist. In ein Land, in dem der Bürgerkrieg tobt. Die einstigen Helden des Mittelmeers werden nun angeklagt, zu Geldstrafen verurteilt, festgesetzt. Und Deutschland schaut zu.
Im Zuge der Recherche zu dieser Serie heißt es aus Kreisen des Auswärtigen Amtes, die libysche Küstenwache solle weiter unterstützt und ausgebildet werden – gerade wegen der Kritik der vielen Organisationen, die die Praktiken der Libyer verurteilen. Was zudem fehle, seien noch immer geregelte Verteilungsmechanismen. Aber wie viele Menschenleben ist man bereit zu riskieren, bis die Zusammenarbeit und die Achtung der Menschenrechte auf dem Standard ist, auf dem er sein sollte? Die Antwort sollte leicht sein: keines!