Angela Merkel hat sich zurückgehalten. Bis jetzt. Während ihre Kritiker immer lauter wurden, hat die Kanzlerin geschwiegen. Kein demonstrativer Besuch, etwa am Ort des Anschlags von Ansbach. Aber auch kein Urlaub. Ebenso ihr Innenminister Thomas de Maizière (CDU). Während alle über eine Welt reden, die aus den Fugen zu geraten scheint, bemühen sich die angeblich „mächtigste Frau der Welt“ und ihr aktuell wichtigster Minister um wenigstens den Anschein von Normalität.
Horst Seehofer hält dagegen. „Besonnenheit ist wichtig, aber den Schutz der Bürger ersetzt sie nicht“, fordert der CSU-Chef die Vorsitzende der Schwesterpartei offen heraus. „Wir haben in allen unseren Prophezeiungen Recht behalten“, sagte er am Rande der Klausurtagung der Bayerischen Landesregierung am Tegernsee. Sein Parteiblatt „Bayernkurier“ formulierte noch schärfer: „Deutlich wird vor allem, welchen Sicherheitsrisiken uns die Kanzlerin mit ihren offenen Grenzen und Armen ausgeliefert hat“.
Die Stimmen aus ihrer eignen Partei sind zwar nicht so prominent, aber sie argumentieren nicht weniger radikal: „Wir brauchen eine Abschiedskultur“, fordert der CDU-Bundestagsabgeordnete Armin Schuster in Anspielung auf die „Willkommenskultur“, mit der die Flüchtlinge nach Merkels Ansicht empfangen werden wollten.
Aus dem europäischen Ausland ist das Echo noch heftiger. An die Spitze der Bewegung setzte sich Geert Wilders. Der niederländische Rechtspopulist twitterte eine Fotomontage, die Merkel mit blutverschmierten Händen zeigt. An sie und Mark Rutte gerichtet, den niederländischen Regierungschef, setzte er hinzu: „Danke Angela und Mark fürs Reinlassen dieser Terroristen.“ Ähnliche Töne sind aus der EU-feindlichen Ukip-Partei in Großbritannien zu hören. Heinz Strache, der Vorsitzende der FPÖ in Österreich, verlangt: „Die Politik der offenen Grenzen und der falschen Toleranz muss beendet werden.“
Vorwürfe aus Ungarn
Aber auch in den Regierungen von EU-Partnerstaaten sind derlei Meinungen vertreten. Nicht anders zu erwarten: in Ungarn. Es gebe offensichtlich „einen Zusammenhang zwischen Einwanderung und Terrorismus“, sagte Ministerpräsident Viktor Orban. Die von Merkel angestrebte europäische Quotenregelung für Flüchtlinge „verstreut nur den Terrorismus über Europa“.
Die polnische Ministerpräsidentin Beata Szydlo verlangte eine offizielle Erklärung von der Bundesregierung, nachdem eine junge Polin in Deutschland von einem Flüchtling mit einer Machete getötet worden war. Innenminister Mariusz Blazczak sagte, die jüngsten Probleme seien „das Resultat davon, dass eben jahrelang Emigranten aus dem Nahen Osten und Nordafrika aufgenommen worden sind.“
Es hat sich also einiges angesammelt, auf das Merkel zu antworten hat. Im vorigen Jahr trat sie Ende August vor die nationalen und internationalen Hauptstadtkorrespondenten in Berlin. Damals sagte sie über die Flüchtlingskrise: „Wir schaffen das.“ Auf das Jubiläum des umstrittensten Satzes ihrer Amtszeit wollte die Bundeskanzlerin nun nicht mehr warten. Lange schien es ja, als sei ihre Politik aufgegangen: Die Flüchtlingszahlen gingen zurück, die deutschen Behörden schafften den Ansturm wirklich. Doch dann kamen die Bluttaten.
Nach kurzem Zögern warf Merkel ihre Planungen um und stellt sich an diesem Donnerstag um 13 Uhr der Öffentlichkeit. Das Kanzleramt hat eifrig an der Argumentationslinie gearbeitet. Angela Merkel wird nichts zurücknehmen, aber sich kann auch nicht so tun, als sei in den vergangenen elf Monaten nichts geschehen. Es wird ein Balanceakt.