Bärbel Bas kann nichts dafür. In der öffentlichen Wahrnehmung ist die Sozialdemokratin bisher etwas blass geblieben, aber das sagt weiß Gott nichts über ihre Befähigung aus. Im Gegenteil: Auch wer sich gut verkauft, kann eine Mogelpackung sein. Die Duisburgerin ist seit rund zwei Jahren stellvertretende Fraktionsvorsitzende, zuvor war sie parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion. Sie soll zur Bundestagspräsidentin gewählt werden.
Es besteht wohl kein Zweifel daran, dass Frauen grundsätzlich nicht weniger befähigt sind als Männer. Manche stellen ihre Qualifikationen womöglich weniger zur Schau, als einige männliche Kollegen das zu tun pflegen. In der Verhaltensforschung ist von Imponiergehabe die Rede. Man kennt das aus der Werbung: „Mein Haus, mein Auto, mein Boot.“
Bärbel Bas ist Fachfrau für Gesundheitspolitik. In ihrer Partei neben einem Dauertalker vom Kaliber Karl Lauterbach Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, ist schier unmöglich. Die Frage ist auch, ob Bärbel Bas überhaupt darauf versessen ist. Wer in der Politik so weit kommen will wie sie, darf nicht schüchtern, zurückhaltend oder medienscheu sein, gewiss. Aber gesundes Selbstbewusstsein muss nicht zwangsläufig zu Geltungssucht führen.
Zunächst war alle Welt davon ausgegangen, dass SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich Bundestagspräsident werden wird. Parteichef Norbert Walter-Borjans hatte den Namen genannt, über Mützenichs Nachfolger in der Fraktion wurde bereits spekuliert. Ein Bundestagspräsident statt Fraktionschef Mützenich wäre auch einem Kanzler Scholz zupassgekommen, schreibt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“: „Für Scholz hätte ein Wechsel den Charme, dass er sich nicht mit dem ideologisch weit links stehenden Mützenich herumplagen müsste.“
Jetzt müssen sich Genossinnen und Genossen mit der Frauenfrage herumquälen – und eben diese Quälerei macht die Debatte so scheinheilig. Angela Merkel hinterlässt auch hier eine ungeahnte Lücke. Sie war 16 Jahre lang genug Frau für die Besetzung diverser Posten mit Männern. Aber drei alte weiße Sozialdemokraten in den höchsten Staatsämtern – Bundespräsident, Bundeskanzler und Bundestagspräsident –, das passt nicht zum Selbstverständnis der „Fortschrittskoalition“. Zumal auch dem werdenden Kabinett, anders als in Aussicht gestellt, vermutlich mehr Männer als Frauen angehören werden. Die Koalitionspartner fühlen sich nicht für die geschlechtergleiche Besetzung der Regierung insgesamt zuständig – so viel zu Grundüberzeugungen. Wenn es um die eigene Karriere geht, wird gerne auf andere geschielt, die schließlich ebenso gut Frauen fördern könnten.
Die FDP will nichts von einer Quote wissen. Den Zeitungen der „Funke Mediengruppe“ sagte Vize-FDP-Chef Wolfgang Kubicki: „Starre Quotenregelungen sind in der Regel kontraproduktiv, weil sie Menschen auf äußere Merkmale reduzieren.“ FDP-Vorstandsmitglied Marie-Agnes Strack-Zimmermann sagt: „Zuallererst muss die fachliche Kompetenz eine Rolle spielen, dann die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht.“
In einer Bestenauslese jedenfalls, sofern sie in der Politik – die vom Netzwerken lebt – möglich ist, dürften weder Geschlecht (männlich, weiblich, divers) noch Herkunft (Ost oder West, mit oder ohne Zuwanderungshintergrund) oder politischer Hintergrund (linker oder rechter Flügel) sowie Alter eine Rolle spielen, Parlaments- oder Verwaltungserfahrung hingegen schon. In einer Koalition müssen schon ohne die Geschlechterfrage Abstriche gemacht werden: Erst kommt die Verteilung unter den Parteien, dann die Auswahl nach den Fragen, wer belohnt werden muss, welches Amt zum Profil passt und größtmögliche Anerkennung verspricht, dann kommt die Befähigung.
Es gibt keinen Grund, an Bärbel Bas Befähigung für das Amt der Bundestagspräsidentin zu zweifeln. Sie wird es vermutlich ohne Fehl und Tadel ausfüllen. Aber möchte man so ins Amt kommen? Als Verlegenheits-, als Eins-w(eiblich)-Lösung? Als glückliche Fügung auch für die Frage, ob Frank-Walter Steinmeier sich erneut der Wahl zum Bundespräsidenten stellen kann? Unter diesen Vorzeichen sollte man besser nicht so viel Aufhebens um seine Quote machen. Das ist höchstens ein Quötchen.