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Standpunkt über Annalena Baerbock Eine gute Wahl, aber nicht ohne Risiko

Annalena Baerbock hat sich die Kanzlerkandidatur hart erarbeitet. Die als kompetent geltende Politikerin ist eine gute Wahl. Doch der Wahlkampf ist für die Ökopartei nicht ohne Risiko, meint Norbert Holst.
19.04.2021, 20:43 Uhr
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Eine gute Wahl, aber nicht ohne Risiko
Von Norbert Holst

Geht doch. Ausgerechnet die für ihre Streitkultur bekannten Bündnisgrünen haben der Union vorgemacht, wie man die K-Frage ohne Getöse und ohne Beschädigung der beteiligten Personen klären kann. Eine reife Leistung.

Annalena Baerbock ist aus grüner Sicht die logische Kanzlerkandidatin. Bei dieser Entscheidung, das gab die Ostdeutsche zu, war ihr Geschlecht durchaus ein wichtiger Faktor. Nach grüner Logik bekommt im Zweifelsfall nun mal eine Frau die Vorfahrt vor einem Mann.

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Die Kanzlerkandidatur ist aber kein Geschenk der Partei. Baerbock hat sich diese Rolle mit ihrer sympathischen und kompetenten Art hart erarbeitet. Man erinnere sich an die Wahl von Baerbock und ihrem Co-Vorsitzenden Robert Habeck im Frühjahr 2018. Damals kannte kaum jemand die Politikerin aus Brandenburg. Habeck galt vielen zu dieser Zeit als der geborene Spitzenkandidat für die Bundestagswahl 2021. Doch das Blatt hat sich gewendet. Horcht man in die Partei hinein, hätte die 40-Jährige wohl auch in einem Mitgliederentscheid die Nase vorn gehabt.

Baerbock hat das ausgeprägte Talent, das grüne Herz zu erwärmen. Beispiel: In ihrer Bewerbungsrede für den Vorsitz schilderte sie etwa, wie es unter anderem mit ihrer Hilfe 2015 gelungen sei, über europäische Ländergrenzen hinweg ein Flüchtlingskind zu ihren Eltern nach Deutschland zu bringen. Da, wo Habeck schnell ins Philosophieren gerät, wird Baerbock konkret und kommt mit Beispielen.

Die spannende Frage wird sein, ob es ihr gelingt, bei den Wählern ein ähnliches Wohlgefühl auszulösen wie in der eigenen Partei. Oder ob sich ihr Stil in einem Wahlkampf nicht doch abnutzt. Die Gefahr zeigte sich bereits in der ersten Rede als offizielle Kanzlerkandidatin. Die war, wie immer bei Baerbock, rhetorisch glänzend, mit Emotionen gespickt und faktensicher. Doch in weiten Teilen der Rede fehlte die grüne Handschrift.

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Im Gegenteil, es wimmelte von staatstragenden Allgemeinplätzen, die jeder Demokrat unbesehen unterschreiben könnte. So trete die Spitzenkandidatin für eine Erneuerung Deutschlands an, und man müsse das Beste, was in diesem Land steckt, auch möglich machen.

Auch bei den Grünen selbst ist die prächtige Stimmung nicht ganz frei von Zweifeln. Böse Erinnerungen werden an die Wahlkämpfe von 2013 und 2017 wach. Auch damals waren die Bündnisgrünen mit glänzenden Umfragewerten gestartet, doch dann stellte sich die Partei mal wieder selbst ein Bein und kam nur auf enttäuschende 8,4 beziehungsweise 8,9 Prozent. 2013 verhagelte vor allem das auf links getrimmte Wahlprogramm und die Forderung nach einem „Veggie-Day“ ein besseres Ergebnis. 2017 war es das Eintreten für eine Vermögensabgabe und höhere Steuern.

Im kommenden Wahlkampf müssen Baerbock und ihre Parteifreunde aufpassen, dass nicht die Eigenheim-Debatte zum Stimmungskiller wird. Nachdem führende Grüne das Eigenheim als Klimasünder und Zersiedlungsfaktor gebrandmarkt hatten, hagelte es von CDU, CSU und FDP Kritik. Von einem „neuen Feindbild“ der Grünen war die Rede, und natürlich war mit der Kritik am Eigenheim auch das Stigma der „Verbotspartei“ bedient.

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Ein anderes Problem, das für alle Parteien gilt, aber gerade bei den Grünen sehr zum Tragen kommt: Umfragen sind unverbindlich. Wenn es beispielsweise um das grüne Herzthema Klimaschutz geht, sprechen sich die meisten Bundesbürger für effektivere Maßnahmen gegen die Erderwärmung aus. Wenn eine Partei mit Anspruch auf das Kanzleramt aber vorrechnen muss, wie man diese Maßnahmen finanzieren will, kann auch so manchem potenziellen Grün-Wähler ganz schnell wehtun.

Apropos Kanzleramt: Annalena Baerbock hat eine offene Flanke, die ihre Konkurrenten nicht haben: Sie besitzt keinerlei Regierungserfahrung – nicht einmal auf kommunaler Ebene. Und Regieren, das wird gerne unterschätzt, ist immer auch erlerntes Handwerk.

Die entscheidende Frage wird sein, ob es der Kanzlerkandidatin und den Grünen gelingt, den Hype um die Partei im Wahlkampf zu erhalten und eine Wechselstimmung zu erzeugen. Wenn nicht, war es das wohl schon mit dem grünen Höhenflug.

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